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Trauer

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Vernachlässigung: Experte: System der Jugendhilfe hat zu oft versagt

Nachdem in den vergangenen Tagen in Deutschland erneut Kinder zum Opfer von Gewalt und Verwahrlosung durch ihre Eltern wurden, fordert der Vorstandschef der Deutschen Kinderhilfe Direkt, Georg Ehrmann, umfassende Konsequenzen im gesamten Bereich der Jugendhilfe.

Von Antje Sirleschtov

Berlin -  „Wir müssen erkennen, dass das System versagt hat“, sagte Ehrmann dem Tagesspiegel am Sonntag. Weder die Jugendämter noch die freien Träger der Jugendhilfe seien in der Lage, den betroffenen Kindern angemessenen Schutz zu geben.

Ehrmann bemängelt dabei nicht nur die personelle und finanzielle Ausstattung der Jugendämter und Jugendhilfeeinrichtungen. Hier hofft er darauf, dass der Druck der Öffentlichkeit auf die Politiker von Ländern und Kommunen zu einer deutlich besseren Ausstattung führen wird. Der Kinderhilfe-Vorstand fordert auch ein „Umdenken der Verantwortlichen“ zum Schutz der betroffenen Kinder. „Kinder von Drogenabhängigen oder psychisch Kranken müssen viel früher aus den Familien genommen werden“, sagt Ehrmann. In der Praxis werde seit Jahren das Prinzip der „Stabilisierung von Eltern durch Kinder“ verfolgt. Diese „Konsenspädagogik“, wie sie Ehrmann nennt, führe dazu, dass den Eltern auf freiwilliger Basis Hausbesuche, Entzugseinrichtungen oder Gespräche angeboten würden, die akute Gefährdung der Kinder in diesen Haushalten jedoch nicht ernst genommen werde. „Was uns fehlt, sind einheitliche Qualitätsstandards, die das Kindeswohl im Blick haben“, sagt der Experte. Die Deutsche Kinderhilfe ist ein Verein, der deutschlandweit nur mit privaten Spenden verschiedenste Projekte zur Hilfe für vernachlässigte Kinder unterstützt.

Ehrmann appelliert außerdem daran, die Maßnahmen zum Schutz von Kindern vor Verwahrlosung oder Gewalt stärker auf die betroffenen sozialen Brennpunkte zu konzentrieren, statt flächendeckende Programme zu organisieren. „Die deutschlandweite Pflichtvorsorgeuntersuchung von Kindern wird uns keinen Schritt weiter bringen“, weist er Forderungen von Politikern zurück. Denn die bedrohten Kinder würden solche Untersuchungen nur in den seltensten Fällen erfahren. „Wir müssen diese Kinder nicht identifizieren, wir kennen sie schon“, sagt Ehrmann und schätzt, dass rund zehn Prozent eines jeden Jahrganges verwahrlost sind.

Nach den jüngsten Fällen von Kindstötungen hat Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) vorgeschlagen, dass staatliche Helfer Kinder aus Risikofamilien schon von Geburt an schützend begleiten. „Wir lernen jetzt, dass wir bereits bei der Geburt klären müssen, ob Risikofaktoren vorliegen“, sagte sie der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“. Solche Faktoren seien etwa Alkoholismus, Gewalt in der Familie oder Teenager-Schwangerschaften. „Diese Kinder dürfen dann nicht mehr aus dem Auge gelassen werden“, sagte sie. Familienhebammen und Familienhelfer müssten sich um sie kümmern. Sie sollten auch früh in einen sehr guten Kindergarten eingebunden werden, so die Ministerin. Zudem müssten Polizei, Jugendamt und Gesundheitsamt besser zusammenarbeiten: „Bislang begegnen sich da noch unterschiedliche Kulturen, die sich nicht immer auf Anhieb verstehen“, sagte von der Leyen. Durch ärztliche Untersuchungen allein sei es nicht möglich, Misshandlungen zu erkennen, sagte auch die Ministerin.

Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, forderte dennoch eine Pflichtvorsorgeuntersuchung für Kinder. Den „Ruhr-Nachrichten“ sagte e: „Solange Eltern ihrer Pflicht nicht nachkommen, muss gegebenenfalls das Kindergeld für diesen Zeitraum gekürzt werden.“

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