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Politik: Verpasste Sühne

Von Christoph von Marschall

Der Diktator lebt nicht mehr. Für die Iraker und für viele Araber ist das eine unglaubliche Nachricht. Nach dem Strafprozess wegen der Ermordung von 148 Schiiten in Dudschail, dem Todesurteil und seiner Bestätigung vor wenigen Tagen kam die Hinrichtung zwar nicht überraschend. Aber erst die Endgültigkeit des Todes – im Morgengrauen vor dem Opferfest – nimmt Saddam den Nimbus des Unüberwindbaren. Mehr als 20 Jahre hatte er nach Willkür Irak beherrscht und sich als arabischer Held geriert, der den Erzfeinden widersteht, Iran im Osten, Amerika im Westen. Erst jetzt haben die Angst seiner Opfer und Hoffnung seiner Anhänger, er könne an die Macht zurückkehren, ein Ende.

Und doch muss man diesen eiligen Abschluss der Causa Saddam bedauern. Eine Befriedungswirkung wie bei der standrechtlichen Erschießung der Ceausescus 1989, auch sie in den Wintertagen kurz nach Weihnachten, ist hier nicht zu erwarten. In Rumänien beendeten die Bilder des toten Diktators den Widerstand der Securitate umgehend. Im Irak liegen die Dinge anders, leider. Bei den anhaltenden Kämpfen dort geht es längst nicht mehr um die Wiedererrichtung des alten Regimes, auch nicht mehr in erster Linie um Widerstand gegen Amerika. Sie sind zum muslimischen Brudermord zwischen Schiiten und Sunniten ausgeartet. Da ist die hastige Hinrichtung ein Fehler, der umso schwerer wiegt. Denn sie bedeutet das vorzeitige Ende der geplanten Kette von Strafprozessen, die der Nation den durch und durch verbrecherischen Charakter des Regimes zeigen sollten.

Saddam war nicht nur der Verantwortliche für die Ermordung von 148 Schiiten; das wird jedoch das einzige Urteil gegen ihn bleiben – und womöglich, mitten im Bürgerkrieg, den Mythos befördern, es sei nur um Rachejustiz der neuen schiitischen Machthaber gegen den Sunniten Saddam gegangen. Der Diktator ist tatsächlich schuldig am Tod von Hunderttausenden, er hat auch Sunniten und Kurden ohne Urteil ermorden oder in seinen Kerkern leiden lassen, hat Kriege gegen Iran und Kuwait angezettelt, Giftgas gegen Kurden und Iraner eingesetzt. Wegen der Masse seiner Verbrechen waren die Anklagen in mehrere Verfahren aufgeteilt worden. Zu ihnen wird es nicht mehr kommen, der Angeklagte ist tot. Natürlich, man kann sich an seine Mittäter halten. Aber das wird nie die gleiche symbolische Wirkung haben; und sie werden sich damit herausreden, sie hätten nur auf Druck des Diktators gehandelt, um nicht selbst getötet zu werden.

Die strafrechtliche Aufarbeitung einer Diktatur geht weit über das Juristische hinaus. Sie bedeutet Aufklärung, Geschichtsunterricht und moralische Erziehung. Wo wäre Deutschland, wenn die Alliierten sich darauf beschränkt hätten, den schlimmsten Nazis irgendeine Tat nachzuweisen, die für ein Todesurteil ausreicht? Die Nürnberger Prozesse, so anfechtbar sie im Detail gewesen sein mögen, und der Auschwitzprozess in Israel haben einer ganzen Generation junger Deutscher nach 1945 die Augen geöffnet für das, worüber Eltern und Großeltern nicht reden konnten oder wollten.

Irak hat die Chance vertan, allen Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und so Schiiten, Sunniten und Kurden im Bewusstsein zu einen, dass sie gemeinsam unter Saddam gelitten haben. Der Diktator ist tot – mit ihm starb auch die Hoffnung auf die heilende Wirkung systematischer Aufarbeitung vor Gericht.

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