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Politik: Verrückt wie das Leben

Von Christine Lemke-Matwey

Daniel Libeskind und Mario Botta haben es getan, Doris Dörrie und Margarethe von Trotta erlagen der Versuchung, Herbert von Karajan ließ sich herab, Bernd Eichinger wird es wagen (nächste Spielzeit an der Berliner Lindenoper), mit Steven Spielberg und Woody Allen ist immer irgendein Intendant im Gespräch, und sogar der gestrenge Vicco von Bülow lieferte vor ein paar Jahren sein Gesellenstück ab: Sie alle haben schon einmal eine Oper inszeniert. Und zwar, weil sie von dieser Profession erklärtermaßen keine Ahnung hatten. Der Dilettant als Kassenbrüller. Der (reine) Tor als Retter in der Not.

Heute werden die 93. Bayreuther Festspiele mit Richard Wagners Bühnenweihfestspiel „Parsifal“ in der Regie von Christoph Schlingensief eröffnet. Es handelt sich – was mittlerweile bis in die Tiefen des brasilianischen Urwalds vorgedrungen sein dürfte – um die Erstbegegnung des Aktionskünstlers und Entertainers mit dem klassischen Musiktheater. Und der Schlingel hat bereits angedroht, dass er weitermachen will.

Was Schlingensief allerdings auch mutmaßt, legt den Finger hübsch tief in die Wunde: Man habe ihn als „Sargnagel“ auf den Grünen Hügel bestellt, Bayreuth sei ein „bröckelndes System“. Was also steckt wirklich hinter jener gezielten Verpflichtung berufsferner Kräfte, die sich spätestens mit Schlingensiefs Bayreuth- Debüt ins Beispielhafte weitet? Man könnte meinen, unsere geliebten Musentempel (respektive deren Verwalter) bäumten sich ein letztes Mal auf, bevor sie samt und sonders in die Grube gesellschaftlichen Vergessens fahren. Zirkus, Spektakel, Lotterie also, und wer am wenigsten weiß, gewinnt und knackt den Jackpot. Das alte Schlachtross Oper als trojanisches Pferd. Der Theaterdirektor als Selbstmordattentäter.

Vielleicht findet unter unseren Augen und Ohren aber auch gerade eine handfeste Revolution statt. Endgültig Schluss mit dem alten bildungshuberischen Festungsdenken, den notorischen Inzüchteleien, den Interpretationen der Interpretationen! Und her mit den Frischblutspenden: Architekten, schafft Räume für Musik! Filmemacher, beschwört nichts als die nackte Gegenwart! Humoristen, lasst uns über unsere alten Zöpfe lachen! Denn die Oper muss so verrückt sein dürfen und so kompliziert, so lustig und so traurig, so authentisch und so dämlich, so herzzerreißend cool und tödlichtörichtschön wie das Leben. Dafür sollten uns alle Mittel recht sein. Die seriösen wie die angeblich etwas weniger seriösen.

Was zählt, ist das künstlerische Ergebnis. Dabei ist nicht gesagt, dass einer mit Regie-Diplom zwangsläufig musikalischer ist oder die mutigere, zeitfühligere Weltsicht hat als einer ohne Diplom und Erfahrung. Auch Promi-Namen garantieren hier zunächst für nichts. Denn natürlich gibt es im Musiktheater ein zu erlernendes Handwerk, auf der Bühne wie im Graben. Dass keine der oben genannten Herrschaften bislang auf die Idee gekommen ist, zum Taktstock zu greifen, zeigt, auf welch einladend niedrigem Niveau die Schwelle in der Regie offenbar liegt.

Wenn aber nach deren Überschreiten nichts passiert, wenn das Gewölk um Schlingensief&Co. lediglich Onanie bedeuten sollte und Hype und Blindgängertum, dann wird sich die Sache sehr rasch wieder erledigen. Dringender denn je muss die Oper heute ein (junges) Publikum für sich gewinnen. Dieses Publikum wiederum wird in Aufführungen, die nur modisch blöken, aber nichts zu sagen haben, nie begreifen, was Magie heißt und das alte Sirenenwort vom „Kraftwerk der Gefühle“ meint. Genau davor ergreifen auch diejenigen regelmäßig schreiend die Flucht, die sich auskennen. Das Wildern in fremden Zaubergärten mag also sexy sein und symptomatisch, und wenn es gelingt, ist es sicher unerhört spektakulär und verheißungsvoll. Einen Wert an sich aber stellt es noch lange nicht dar.

In Bayreuth brüllen die Kassen übrigens ganz von selbst. Acht bis zehn Sommer im Voraus. Ganz egal, was passiert. Ist doch beruhigend.

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