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Nur ein kurzes Statement: Kardinal Marx in der vergangenen Woche.

© dpa/Sven Hoppe

Update

Kardinal kritisiert mangelnde Aufarbeitung: Marx entschuldigt sich nach Missbrauchsgutachten für „Desaster“

Die Stellungnahme des Kardinals wurde mit Spannung erwartet. Er räumt Versagen im Umgang mit Missbrauch ein – und will weitermachen, „wenn das hilfreich ist“.

Eine Woche nach dem Missbrauchsgutachten, das unter anderem den ehemaligen Papst Benedikt XVI. schwer belastet, hat der Münchner Kardinal Stellung zu den Ergebnissen der Studie genommen, die sein Bistum bei der Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) in Auftrag gegeben hat. „Jeder Verantwortungsträger sollte sich überlegen: Was habe ich persönlich zu verantworten?“

Betroffene wie Gläubige bat Marx erneut um Entschuldigung. „Wir sehen ein Desaster“, bilanzierte er das vor einer Woche vorgelegte Gutachten. „Wer jetzt noch systemische Ursachen leugnet und einer notwendigen Reform der Kirche in Haltungen und Strukturen entgegentritt, hat die Herausforderung nicht verstanden.“

Er trage Verantwortung für das Handeln des Erzbistums. „Ich klebe nicht an meinem Amt.“ Das Angebot im vergangenen Jahr, auf sein Amt zu verzichten, habe Marx „sehr ernst gemeint“. Allerdings könne er sich auch vorstellen, weiterzumachen, „wenn das hilfreich ist für die weiteren Schritte, die für eine verlässlichere Aufarbeitung, eine noch stärkere Zuwendung zu den Betroffenen und für eine Reform der Kirche zu gehen sind.“.

Marx hatte im vergangenen Jahr im Zusammenhang mit dem Thema Missbrauch seinen Rücktritt angeboten. Papst Franziskus hatte diesen aber abgelehnt.

Falls er selbst oder andere allerdings den Eindruck gewinnen sollten, er sei „dabei eher Hindernis als Hilfe“, werde er das Gespräch mit den entsprechenden Beratungsgremien suchen und sich kritisch hinterfragen lassen, kündigte der Erzbischof an.

Marx betonte mehrfach, er habe auch selbst Fehler gemacht. Die größte Schuld sei gewesen, die Betroffenen übersehen zu haben. Zugleich wies er Vorwürfe zurück, er habe das Thema zu sehr delegiert: „Der Umgang mit Missbrauch in der Kirche war und ist für mich Chefsache und steht nicht im Gegensatz zum Verkündigungsauftrag. Ich war und bin nicht gleichgültig.“ Aber: „Hätte ich noch mehr und engagierter handeln können? Sicher ja!“

Betroffene nicht genug berücksichtigt

Wenn es von den Betroffenen gewünscht werde, wolle er sich regelmäßiger als bisher den Austausch mit ihnen suchen: „Hier will ich stärker präsent sein. Denn der Vorwurf, den ich mir selbst mache, ist die immer noch nicht ausreichende Übernahme der Perspektive der Betroffenen.“

Die Studie wirft Marx und all seinen Vorgängern im Amt des Erzbischofs seit 1945, etwa Kardinal Friedrich Wetter und Joseph Ratzinger, Fehlverhalten im Umgang mit Missbrauchsfällen vor. Sie geht von mindestens 497 Opfern und 235 mutmaßlichen Tätern aus – und von einem weit größeren Dunkelfeld. Marx selbst habe vor allem das Thema seiner Verwaltung überlassen, anstatt es zur Chefsache zu machen.

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Bei der Vorstellung des Gutachtens selbst, am Donnerstag vergangener Woche, war Marx nicht dabei, und hatte danach nur eine kurze Stellungnahme abgegeben. „Ich bin erschüttert und beschämt“, sagte er. Seit Jahren sei bekannt, „dass sexueller Missbrauch in der Kirche nicht ernst genommen wurde, dass die Täter oft nicht in rechter Weise zur Rechenschaft gezogen wurden, dass es ein Wegsehen von Verantwortlichen gegeben hat“.

Er bitte als Erzbischof „um Entschuldigung für das Leid, das Menschen im Raum der Kirche in den vergangenen Jahrzehnten zugefügt wurde.“

„Wir sind schuldig“: Proteste gegen den Umgang der katholischen Kirche mit den Missbrauchsfällen.
„Wir sind schuldig“: Proteste gegen den Umgang der katholischen Kirche mit den Missbrauchsfällen.

© dpa/Sven Hoppe

Der katholische Theologe Daniel Bogner sagte schon direkt nach der Vorstellung des Gutachtens, dass er nach all den Enthüllungen einen erneuten Rücktrittsversuch von Marx für angemessen hält. „Und ich hoffe, er wird eine erneute Ablehnung durch Papst Franziskus diesmal nicht akzeptieren. Dies wäre ein zwar zunächst nur symbolisches, aber sehr starkes Zeichen dafür, dass die bisherigen Strukturen der Kirche so nicht weiter funktionieren“.

Der Kirchenrechtler Thomas Schüller kritisierte Marx' Erklärung zum Gutachten als „erstaunlich leidenschaftslos und uninspiriert“, sie habe „viele Betroffene verletzt und befremdet“.

Rücktritt des Kirchenrichters Lorenz Wolf

Aus verschiedenen Richtungen gab es überdies den Ruf nach weiteren personellen Konsequenzen. Im Mittelpunkt dieser Forderungen steht Lorenz Wolf, der oberste Kirchenrichter der Erzdiözese. Der 66-jährige Geistliche leitet auch das Katholische Büro Bayern und ist Vorsitzender des BR-Rundfunkrats. Er zählt zu den einflussreichsten Kirchenoberen in Bayern.

Wolf lasse alle seine Ämter und Aufgaben ruhen, sagte Marx nun bei der Pressekonferenz. „Damit bin ich einverstanden. Er will zu gegebener Zeit Stellung nehmen“, so der Kardinal.

Lorenz Wolf bei der Auszeichnung mit der goldenen Verfassungsmedaille im bayrischen Landtag im Mai 2021.
Lorenz Wolf bei der Auszeichnung mit der goldenen Verfassungsmedaille im bayrischen Landtag im Mai 2021.

© dpa/Felix Hörhager

Oft war Wolf als zweite Instanz im Auftrag der römischen Kurie mit Missbrauchsfällen befasst. Aus seiner Feder stammt ein im Mai 2016 unterzeichnetes Strafdekret gegen den Wiederholungstäter Peter H., der 1982 aus dem Bistum Essen nach Bayern kam, mit dem das Missbrauchsgutachten in einem Sonderband befasst.

An dem Dekret, über das Medien erstmals 2018 berichteten, entzündete sich Kritik, weil die Strafe angeblich zu milde ausfiel und H. nicht aus dem Klerikerstand entfernt wurde. Wolf rechtfertigte sich mit dem Hinweis, er habe wegen Vorgaben aus Rom nicht selbst ermitteln dürfen. Auch wegen des schlechten Zustands der Akten zum Fall sei mehr nicht drin gewesen.

Im Gutachten der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl heißt es über Wolf, sein Handeln in zwölf von 104 Fällen während seiner Amtszeit gebe „Anlass zu Kritik“. Die Hauptkritik der Gutachter lautet, Wolf habe im Umgang mit Missbrauchsfällen die Interessen der Beschuldigten vor die der mutmaßlichen Opfer gestellt.

Aber ob es überhaupt noch eine Geste geben kann, die den Frust und die Wut unter den Gläubigen auffangen kann, ist fraglich. In Bayern müssen Städte inzwischen in ihren Standesämter aufrüsten – um die Flut der Kirchenaustritte zu bewältigen. (dpa/KNA)

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