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Politik: Versager wie wir

LEHRSTÜCK HERTHA

Von Armin Lehmann

Elf Freunde sollen es sein, elf Männer, elf Sieger. Helden! Und plötzlich treffen sie das Tor nicht mehr, verstolpern Bälle, lassen die Köpfe hängen, trotten vom Rasen. Die Menge auf den Rängen tobt. Die Spieler heulen heimlich. Versager! Sie machen uns alles kaputt, unsere Träume, unsere Siege. Dieses Mal sind es die Fußballer von Hertha BSC, dem Hauptstadtklub, der ein „aufgewachter Riese“ sein soll mit immensem Potenzial. Hertha wollte wieder in die höchste europäische Liga, in die Champions League, Hertha sollte auch mal Meister werden, schon bald, den Erwartungen Berlins angemessen. Und jetzt verlieren die ständig, letzter Tabellenplatz, gelähmt, ängstlich, ohne Mut. Und stellen dem Trainer ein Ultimatum: Sieg oder flieg. Was ist da los, was ist geschehen?

Vor einigen Monaten sah man in Berlin noch riesige Plakate, auf denen nur die Vornamen der HerthaSpieler standen. Es sind Spieler dabei, die nicht jeder kennt. Sie heißen nicht David Beckham oder Oliver Kahn, sondern Arne Friedrich oder Dick van Burik. Aber sie wurden präsentiert wie Helden, wie Fußballgötter eben, darunter machen wir Fans es nicht. Schon gar nicht in Berlin, wo alles noch schneller gehen muss, wo die Menschen gerne Luftschlösser bauen und eine Weltmetropole schaffen sollen, wo die Wirtschaft mächtig boomen müsste, aber die Werkstatt des Sparens steht.

Aber Arne Friedrich, Hertha-Gott und Nationalspieler, weiß plötzlich nicht mehr, wohin er auf dem Platz laufen soll. Er hat wie alle die Hosen voll. Im Kollektiv steckt einer den anderen an – so wie Dominosteine fallen. Es gibt kein Halten mehr. Und wir beobachten das genau. Gewinner oder Verlierer, für etwas anderes ist kein Platz. So brutal ist der Fußballsport, brutal wie kein anderer, weil er populärer ist, weil er so viel mit unseren Wünschen zu tun hat, mit unseren Projektionen. Feiern und Feuern, wir lieben diese Schnelllebigkeit. Wir wollen immer neue Helden und brauchen dafür Versager. Die Profi-Kicker und ihre Trainer – dafür verdienen sie viel Geld – haben sich diesem Spiel zu fügen.

Einem Verein wie Hertha BSC bleibt da gar nichts anderes übrig, als eine große Klappe zu haben und zu versuchen, wenigstens verbal die längst davongeeilten Erwartungen einzuholen. Dabei stürmte das Team schon im zweiten Jahr nach dem Aufstieg 1997 mit einem starken Manager im Hintergrund in die Champions League und setzte sich zuerst das Luxusdach auf die neuen Grundmauern. Das war zu früh. Aber so musste es weitergehen nach der Devise: Wir haben zwar nur einen durchschnittlichen Kader, aber wir sind wieder wer.

Und stimmte das nicht? Standen nicht die Sponsoren vor den Türen des Hauptstadtklubs Schlange, verzehnfachte Hertha nicht von 1995 bis heute seine Mitgliederzahl von 1000 auf mehr als 10 000? Rannten nicht die Menschen aus dem Umland nach Berlin ins Olympiastadion, mussten nicht die VIP-Logen Jahr um Jahr erweitert werden, und entdeckte nicht die Prominenz den Proletenklub und zuckte über die gewalttätige und rechtsradikale Fan-Vergangenheit nur höflich mit den Achseln?

Das Vorbild war natürlich der FC Bayern München, der Liga-Primus, der Verein der Größten, Besten, Cleversten. So wollte man sein, so wollte Hertha werden. Den Bruder von Uli Hoeneß als Manager hatte man ja schon. Und nun bald Zweite Liga?

Wann treffen Arne Friedrich und Dick van Burik mal wieder für Hertha BSC den Ball? Heute beim Spiel in Rostock werden wohl neue Helden geboren und neue Versager. Der Fan wird mit seinen Verlierern weinen – den Helden von übermorgen.

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