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Politik: Verschlepptes Recht

Alteigentümer sollen im Osten günstiger Boden erwerben können – das gibt Streit

Von Matthias Schlegel

Berlin - Das Thema ist nicht nur politisch, sondern auch ideologisch und emotional aufgeladen. Dabei ist der Anlass ein eher geringfügiger. Es geht um das Zweite Flächenerwerbsänderungsgesetz, das an diesem Freitag im Bundestag mit den Stimmen der Koalition beschlossen werden soll. Es ermöglicht den in den Jahren 1945 bis 1949 im Zuge der Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone Enteigneten den begünstigten Erwerb von Land im Osten Deutschlands.

Nach dem Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz von 1994 haben sie ohnehin einen Erwerbsanspruch. Nachdem der Einigungsvertrag geregelt hatte, dass diese Alteigentümergruppe ihre teils jahrhundertealten Besitztümer nicht zurückerhält, weil die sowjetische Seite dies zur Bedingung ihrer Zustimmung zur deutschen Einheit gemacht hatte, trägt die Bundesrepublik schwer an der moralischen Last dieser umstrittenen Klausel. Mit dem 94er Gesetz wurde den Alteigentümern immerhin ermöglicht, Ausgleichsleistungen zu beantragen. Diese konnten dann verwendet werden, um zu vorteilhaften Bedingungen durchschnittlich 30 Hektar Land aus den von der bundeseigenen Bodenverwertungs- und Verwaltungsgesellschaft (BVVG) zu privatisierenden Flächen zu kaufen.

Ein großer Teil dieser Antragsteller wartet aber noch immer auf die Bescheide: die nicht wirtschaftenden Alteigentümer. Weil zunächst die Anträge derer bearbeitet wurden, die selbst Landwirtschaft betreiben, entstand bei den anderen ein Antragsstau in dem zweistufigen Verwaltungsverfahren. Da sich aber seit 2004 die Bodenpreise verdoppelt bis verdreifacht haben, bekommen die Antragsteller heute für die gleiche Summe kaum noch die Hälfte der Fläche, die sie vor ein paar Jahren dafür erhalten hätten.

„Ein solches Recht darf nicht verfallen, nur weil nicht genug Personal da ist“, sagt der FDP-Politiker Hans-Michael Goldmann, Vorsitzender des Bundestags- Agrarausschusses. Schließlich hätten nicht die Betroffenen die Situation verschuldet. Die Gesetzesnovelle sieht deshalb vor, dass für die Berechnung des begünstigten Kaufpreises für nicht wirtschaftende Alteigentümer künftig der Verkehrswert zum Stichtag 1. Januar 2004 zugrunde gelegt wird. Rückwirkend sollen auch diejenigen davon profitieren, die seit diesem Stichtag anspruchsberechtigt waren, aber davon keinen Gebrauch machten. Überdies sollen künftig auch Verwandte dritten und vierten Grades Flächen begünstigt erwerben dürfen. Insgesamt rechnet das Finanzministerium mit rund 9000 Anspruchsberechtigten, schätzt aber, dass nur 20 Prozent tatsächlich Land erwerben wollen. Dann würde die Rechnung der Koalition aufgehen, dass dem Bund durch den verbilligten Flächenverkauf „nur“ Einnahmeverluste von rund 370 Millionen Euro entstehen.

Kirsten Tackmann, agrarpolitische Sprecherin der Linksfraktion, beklagt, durch diese Besserstellung „einer gut situierten Klientel“ werde der „ausgewogene Kompromiss von 1994 aufgekündigt“. Sie sehe nicht ein, dass angestammte landwirtschaftliche Betriebe, die ohnehin mit dem Rücken zur Wand stünden, die hohen Preise auf dem „Spekulationsmarkt“ zahlen müssten, während Alteigentümer ein zweites Mal begünstigt würden.

Auch die SPD wettert gegen das Gesetz. Den Landwirten in Ostdeutschland drohe ein massiver Flächenentzug, auf den den Bundesetat kämen unkalkulierbare Mindereinnahmen zu, erklären die Bundestagsabgeordneten Rolf Schwanitz und Waltraud Wolff. Schwanitz zweifelt die Berechnungen des Finanzministeriums über die Einnahmeausfälle des Bundes an und rechnet mit einem Milliardenbetrag. Mecklenburg-Vorpommerns Landwirtschaftsminister Till Backhaus (SPD) befürchtet gar, dass der Konflikt zwischen den Landwirten vor Ort und den nicht selbst wirtschaftenden Alteigentümern neu geschürt werde. Aber die Opposition ist gespalten. Die Grünen tragen das Gesetz mit. Die Bundestagsabgeordnete Cornelia Behm hat für die „inakzeptable Haltung“ der beiden anderen Parteien kein Verständnis. Ihnen fehle „nach wie vor eine kritische Distanz zu den massiven Menschenrechtsverletzungen der Bodenreform“, sagt sie.

Den Rechtsfrieden in Deutschland dürfte das Gesetz nicht bedrohen. Blamabel ist vielmehr, dass zwei Jahrzehnte nach der deutschen Einheit viele Alteigentümer die Gewährung ihres verbrieften Anspruchs nicht mehr erleben werden. Der FDP-Politiker Goldmann kündigte deshalb für Anfang 2011 ein weiteres Gesetz an: Damit sollen die Bearbeitungsverfahren bei den Landesvermögensämtern drastisch beschleunigt werden.

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