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Politik: Verschwörung regiert

Der frühere Brandt-Berater Albrecht Müller rechnet mit Deutschlands Elite ab – und erntet nicht nur Lob

Von Michael Schmidt

Berlin - Es steht nicht gut um Deutschland. Man sieht es gleich an diesem Dienstagabend im Palais der Kulturbrauerei in Berlin: Die düsteren Farben dominieren. Auf dem Podium sitzen vier Männer vor einem schwarzen Vorhang. Unter einem vergrößerten schwarzfarbenen Buchumschlag. Darauf, in gelben Lettern, klein „Macht-“, groß „-wahn“, und der Untertitel: „Wie eine mittelmäßige Führungselite uns zugrunde richtet“. Die Männer auf dem Podium sind Christoph Keese, Chefredakteur der „Welt am Sonntag“, Jürgen Peters, Vorsitzender der IG Metall, und der Autor des in strittiger Rede stehenden Buches, Albrecht Müller, Nationalökonom, Redenschreiber des früheren SPD-Wirtschaftsministers Karl Schiller und Berater von Kanzler Willy Brandt.

Über die Diagnose herrscht Einigkeit. In den Worten Müllers: „Unser Land befindet sich in einer wirtschaftlichen Stagnation. Von kleinen Zwischenperioden abgesehen, geht es seit 25 Jahren ökonomisch nicht mehr voran. Wir fallen hinter andere Länder zurück. Politische Entscheidungen halten nicht, was mit ihnen versprochen worden ist.“ Die Diskussion entzündet sich an der Frage: Woran liegt das? Keese sagt, dass er eine seriöse Antwort kaum in 90 Sekunden geben könne – im Übrigen aber der „genau gegenteiligen Auffassung von Albrecht Müller“ sei. Der sagt: Die gängigen Antworten seien Reformstau, Blockade, übertriebener Sozialstaat, zu mächtige Gewerkschaften, zu hohe Löhne. Vielleicht aber, so frage er, „vielleicht liegt es daran, dass wir besonders schlechte Eliten haben?“ Der Fisch stinke vom Kopf her.

Müller sieht ein perfekt organisiertes, gut geknüpftes, engmaschiges Netzwerk „neoliberaler Entscheidungsträger und Meinungsmacher“ am Werk, „mit zwei wesentlichen Knotenpunkten: der Initiative für neue soziale Marktwirtschaft und der Bertelsmann-Stiftung“. Deren Propaganda sei perfekt. Sie hätten es geschafft, anderen „einzureden, die Finanzprobleme unserer sozialen Sicherungssysteme folgten aus der demografischen Entwicklung“, obwohl klar sei, „dass die miserable wirtschaftliche Entwicklung, versicherungsfremde Leistungen in der Rente und die Subventionierung von Minijobs die eigentliche Ursache für die leeren Kassen sind“. 52 Millionen Erwerbsfähige und 15 Millionen über 65-Jährige – das sei doch eine „glänzende Relation“. Heute und auf absehbare Zeit gebe es mithin kein demografisches, sondern ein Problem namens wirtschaftliche Stagnation und Arbeitslosigkeit.

Die Rede vom Netzwerk, das den Leuten etwas einrede, rieche ihm denn doch zu sehr nach Verschwörungstheorie, wirft Keese ein. „Ich muss Sie enttäuschen“, erwidert Müller: „Die Wirklichkeit ist noch viel schlimmer als meine Theorie.“ Dabei nehme er den Netzwerkern – „Raffelhüschen, Rürup, Miegel, Sinn und wie sie alle heißen“ – nicht übel, dass sie als Wissenschaftler und Berater auftreten. Und zwar, obwohl sie sich als Vortragsreisende von Versicherungskonzernen und Finanzdienstleistern an der Zerstörung des Vertrauens in die Sozialsysteme beteiligten. Nein, was ihn fassungslos mache sei die Tatsache, dass die Eliten diese Interessenverflechtungen nicht durchschauten. „Ich frage: Sind die Leute nur dumm oder sind sie korrupt?“

Jürgen Peters war es vorbehalten, Müllers „klare Worte“ zu loben: „Machtwahn“ sei ein Symbol, betont Peters, dafür, dass es Einspruch gebe aus intellektuellen Kreisen, dass Widerstand machbar sei und Menschen nach einer gerechteren Lösung suchten. „Das neoliberale Meinungskartell“, sagt Peters, „das bröckelt.“

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