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Die angesagte Hype-App ist umstritten. Chancen kann sie trotzdem bieten.

© imago images/Arnulf Hettrich

Versöhnliches Clubhouse: Hier wird nicht so von Ohr zu Ohr rumgehasst

Noch hat Deutschlands App der Stunde gravierende Mängel. Werden die überwunden, könnten neue Dialog- und Denkräume entstehen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ann-Kathrin Hipp

Tech-Investor Frank Thelen – bekannt aus der „Höhle der Löwen“ – lud am Freitagmittag zur gemeinsam Clubhouse-Runde. Titel: „Wieso Clubhouse sich nicht durchsetzen wird“. Online-Marketing-Experte Philipp Westermeyer und Netz-Vordenker Sascha Lobo waren zu Gast, 5.000 Menschen hörten zu. Der Raum war maximal ausgelastet. Wer rein wollte, wurde aufgefordert, zu warten. Am Ende verließ Frank Thelen die Runde mit der Ankündigung, beim nächsten Mal doch lieber einen anderen Titel zu wählen. Vielleicht setzt sich diese neue Social-Media-Plattform ja doch durch.

Zweifelsohne: In der aktuellen Beta-Version hat Deutschlands digitaler Hype der Stunde noch ein paar gravierende Mängel. Neben dem laxen Datenschutz sind da vor allem die Einladungsregeln, die Menschen ausschließen und Diversität verhindert. Zumindest letzteren Punkt will Gründer Paul Davison noch angehen: „Wir arbeiten daran, es der Welt so schnell wie möglich zur Verfügung zu stellen“, verspricht er. Kommt Clubhouse darüber hinaus, nur Menschen zuzulassen, die die „richtigen“ Kontakte und ein iPhone haben, dann könnte die Plattform, die sich bis dato als eine Mischung aus Party, Telefonkonferenz, Live-Podcast und Ted Talk beschreiben lässt, durchaus Chancen bieten.

Redebedarf nach Monaten ohne Plausch und zufälliger Begegnungen

Das Clubhouse kommt genau zur richtigen Zeit: Einerseits, weil die Menschen nach Monaten ohne Plausch und zufälliger Begegnungen maximalen Rededarf haben. Andererseits, weil dieser Gesellschaft gerade nicht viel Besseres passieren kann, als dass es einen Raum gibt, in dem sich potenziell jeder zu jedem Thema mit jedem austauschen kann. Clubhouse bringt ein Gimmick zurück, das im Jahr 2021 die Kommunikation zurückrevolutionieren könnte: das Gespräch ist wieder da, in zeitgemäß digitaler Form.

Spätestens durch die Coronakrise ist es – die beruflichen Dauervideokonferenzen mal ausgeschlossen – ein bisschen verlorengegangen, wahrscheinlich aber auch schon lange davor. Irgendwo zwischen Twitter, Facebook, Instagram und Co. hat ein nicht zu unterschätzender Teil der Menschen angefangen, viel übereinander und in eigener Sache zu kommunizieren und überwiegend schriftlich zu streiten.

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Die Kommentarspalten der Plattformen sind zu den Orten geworden, in denen Politisches auf mitunter 280 Zeichen oder SMS-Kürze diskutiert und kritisiert wird. Wer die beste Punchline und die meisten Likes hat, gewinnt. Wer pöbeln will, zieht anonym ins Netz. Echte Dialoge entstehen eher selten. Dabei sind sie gerade in Zeiten, in denen sich die Gesellschaft spaltet und in der zwischen zwei Fronten oft nur Gräben der Sprachlosigkeit – oder der Wut – herrschen, so wichtig. Umso mehr in einem Jahr, in dem sechs Landtagswahlen und eine Bundestagswahl stattfinden.

Debatten sind die Grundlage der Demokratie. Und jetzt ist da eine Kommunikationsplattform, auf der Politikerinnen, Supermarktverkäufer, IT-Spezialisten, Kita-Erzieher, Influencerinnen und Thomas Gottschalk die Möglichkeit haben, zu jeder Tages- und Nachtzeit miteinander ins Gespräch zu kommen – sich zu beraten, zu argumentieren, zu spinnen und auch zu albern. Und zwar so richtig, mit echten gesprochenen Worten, die man hören kann und die die Menschen über ihr Profilbild hinaus wieder ein bisschen mehr Mensch werden lassen.

Die Hemmschwelle rumzuhassen ist größer

Die Hemmschwelle, von Ohr zu Ohr rumzuhassen, scheint im akustischen Raum größer, als auf der Tastatur. Zumindest formal verlangt die App von seinen Nutzern den Klarnamen. Die deutschen User sind in der ersten Wochen ungewöhnlich persönlich und versöhnlich: „Wie geht’s dir?“, „Siehst du das anders?“ „Ich würde noch ergänzen wollen...“, „Ich glaube wir sind alle ein bisschen erschöpft gerade“, „Schön, Dich zu hören!“ und: „Sitzen wir nicht alle im selben Boot?“

Auf Clubhouse geht es nicht nur ums Reden, sondern auch ums aktive Zuhören. Vielleicht auch darum, einander wieder ein bisschen näherzukommen – ohne dabei die eigene Professionalität zu verlieren. Das gelingt augenscheinlich nicht allen Politikern und Journalisten ad hoc – der Reiz und Rausch des Privaten und der neuen Dialog- und Denkräume zeigen in den ersten Tagen ihre Wirkung.

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Und klar, die größte Aufmerksamkeit ergattern auch hier vor allem Promis, die jeder hören will ... und Narzissten, die sich selbst am liebsten hören – oft mittelalte, weiße Männer; dafür hat auch Clubhouse bisher keine Lösung. Aber die App lässt zumindest die Option, dass es anders laufen kann und gibt Leuten die Möglichkeit mitzumischen, die sonst kein Podium haben. Darin liegt – egal, ob es um Nischenthemen oder die großen gesellschaftlichen Fragen geht – die Chance. Clubhouse könnte dann extrem gut werden, wenn es gelingt, dass nicht nur die immer gleichen Leute über die immer gleichen Dinge sprechen und jeder in seiner eigenen Blase herumblubbert – wenn sich Menschen digital begegnen, die das analog wohlmöglich nie getan hätten. Und das in Echtzeit. Live ist Life, könnte man sagen.

Ein Punkt von Sascha Lobo, der Frank Thelen zur Frage, ob sich Clubhouse durchsetzen wird, übrigens am meisten überzeugt hat. „Eilmeldungsdurchbruch“ nannte Lobo das: Irgendwo auf der Welt passiert etwas und die wichtigsten Experten schalten sich in Minutenschnelle zusammen, ordnen ein und informieren. Dazu könnten virtuelle Konferenzen oder Lesungen kommen, interaktive Interviews, Feedbackgespräche, Redaktionskonferenzen, öffentliche Lern-, Fernsehguck- und Fragerunden. Entscheidend wird, ob letztlich mehr als nur eine kleine auserwählte Gruppe daran teilhaben kann – und will. Dass der Club mehr Haus wird. Für möglichst viele.

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