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Politik: „Verteidigung allein reicht nicht mehr“

Der ehemalige General Naumann über neue Strategien der Nato und Aufgaben der Bundeswehr

50 Jahre Deutschland in der Nato und 50 Jahre Bundeswehr – das sind 50 Jahre Sicherheit in Frieden und Freiheit. Es gibt kaum eine bessere Zeit in der deutschen Geschichte. Deutschland und alle Deutschen haben allen Grund, dem Bündnis, unseren Bündnispartnern, allen voran den USA, und der Weisheit der damaligen Bundesregierung zu danken, die gegen heftigen Widerstand die Westbindung Deutschlands und die Wiederbewaffnung durchsetzte. In einer Zeit unverhohlen aggressiven Expansionsstrebens der damaligen Sowjetunion wurde der jungen, gerade im Wiederaufbau befindlichen Bundesrepublik Deutschland die Schutzgarantie der Demokratien Nordamerikas und Westeuropas gegeben: Ein Angriff auf einen von uns, seit Mai 1955 eben auch Deutschland, ist ein Angriff auf uns alle, das war und ist der Kern des NatoVertrages von 1949. Unter diesem schützenden Schirm konnte Deutschland sich wirtschaftlich entfalten, festigte seine junge Demokratie und konnte die Bundeswehr aufbauen, die erste Wehrpflichtarmee einer deutschen Demokratie.

Doch nicht Rückblick, sondern der Blick nach vorne wird die zwei Tage der Konferenz „Impulse 21“ bestimmen. Das Bündnis war nie frei von Spannungen, und es hat zahllose Krisen überlebt, an der schwersten, der Irakkrise, leidet es noch immer. Europas Krise, sichtbar geworden durch das Nein Frankreichs zur EU- Verfassung, macht die Lösung aller Sicherheitsprobleme noch schwieriger. In einer Zeit voller Unsicherheit und neuer Gefahren braucht die Welt das enge Zusammenwirken der USA und der EU. Dazu muss die EU mit einer Stimme sprechen. Nur dann gibt es gemeinsame, transatlantische Lösungen. Keines der offenen Probleme Europas – von der Friedensordnung für den Balkan, einem haltbaren Frieden im Nahen Osten bis hin zur Rückkehr Russlands zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit – kann ohne den engen Schulterschluss zwischen Washington und der EU gelöst werden. Versuche, Europa als Gegengewicht zu den USA zu positionieren, spalten Europa, könnten es zerstören. Sie vermindern die Chance, den USA begreiflich zu machen, dass das Mitwirken der Verbündeten Teilhabe an der Entscheidung voraussetzt.

Versuche der USA, die Nato zur Werkzeugkiste zu degradieren und sich mit Ad-hoc-Koalitionen das Entscheidungsmonopol zu sichern, sind zum Scheitern verurteilt. Wer aber Europa als Gegengewicht zu den USA sieht, der fördert Unilateralismus in den USA. Es gilt also, Wege aus Europas Krise zu finden, den Unilate- ralisten das Handwerk zu legen und der Nato eine neue Orientierung zu geben. Dazu braucht die Nato eine neue Strategie. Ausgangspunkte der Entwicklung einer solchen Strategie müssen die neuen Risiken, die sich ändernde Natur von Krieg und bewaffnetem Konflikt und die anhaltende technische Revolution sein. Letztere könnte einen strategischen Paradigmenwechsel bewirken, weg von der Strategie der Vernichtung hin zu einer Strategie der strategischen Lähmung. Ziel jeder Strategie ist, Sicherheit für Europa zu schaffen. Das heißt einer dreifachen Herausforderung zu begegnen: 1. Die Konfliktursachen vorbeugend zu entschärfen. 2. Den Risiken dort entgegenzutreten, wo sie entstehen. 3. Den Schutz Europas vor Angriffen aller Art zu gewährleisten. Dies kann nur mit einem global gültigen und alle Mittel der Politik nutzenden strategischen Ansatz geschehen. Friedliche Lösungen haben dabei stets Vorrang, doch es wird unvermeidlich bleiben, Gewalt als äußerstes, vielleicht sogar als frühes Mittel der Politik anzuwenden. Politik und Bündnis betreten damit Neuland, denn:

– Es gibt keine nationalen Lösungen mehr. Das führt zu neuen Entscheidungsprozessen und zu Souveränitätstransfer.

– Sicherheit für Europa hat globale Dimension.

– Es muss gehandelt werden, bevor dieKrise zum bewaffneten Konflikt eskaliert.

– Sicherheit setzt die Wahrung des Rechts und den Schutz von Menschenrechten voraus. Das ius ad bellum wie das ius in bello bedürfen der Anpassung.

Verteidigung erhält eine neue Qualität: Nicht mehr reaktive Verteidigung auf dem eigenen Territorium ist geboten, sondern pro-aktives Fernhalten der Gefahren vom eigenen Gebiet in Verbindung mit reaktivem Schutz des Bündnisgebiets. Dies führt zu einem neuen Verständnis von Landesverteidigung, denn selbst der reaktive Schutz Deutschlands beginnt an den Grenzen des Nato-Vertragsgebietes. Landes- wie Bündnisverteidigung bestehen somit aus drei miteinander verbundenen Komponenten: Pro-aktiver Verteidigung, die Risiken fern hält; reaktiver militärischer Verteidigung des Nato-Vertragsgebietes und Schutz des eigenen Territoriums. Dem haben Organisation und Ausrüstung der Streitkräfte zu entsprechen. Es darf angesichts der neuen Gefahren wie Terrorismus auch keine Trennung von innerer und äußerer Sicherheit geben.

Verteidigung allein reicht als strategischer Ansatz nicht mehr aus. Das Bündnis muss über ein Kontinuum politischen Handelns von vorbeugender Konfliktverhinderung mit nichtmilitärischen Mitteln über Schutz und Intervention bis hin zur Stabilisierung im Interventionsgebiet verfügen können. Eine wirkungsvolle Nato- Strategie bestünde aus vier miteinander verbundenen Elementen, die zu einem Kontinuum der Friedenserhaltung und Konfliktbeherrschung verwoben sind: 1. Der erste Schritt ist illusionsloser Dialog und eventuell Verhandlungen. 2. Dann wird versucht, durch Hilfe und Vorbeugung Konflikte präventiv zu vermeiden. 3. Gelingt dies nicht, gilt es, durch Einschüchterung und Abschreckung Krieg zu verhindern. 4. Scheitern friedliche Bemühungen, wird den Risiken aktiv da begegnet, wo sie entstehen und das Interventionsgebiet kontrolliert bis dort selbst tragende Stabilität erreicht ist und alle fremden Truppen abgezogen werden können. Eine solche Strategie setzt voraus, dass die Nato als das zentrale Forum transatlantischer Konsultation gesehen und genutzt wird. Da es schnell zu handeln gilt, muss man auch über das Prinzip der einstimmigen Entscheidung nachdenken. Es sollte genügen, es nur im einzigen politischen Gremium, dem Nato-Rat, anzuwenden. Eine moderne Strategie bedeutet ferner, dass die Nato auch andere als militärische Mittel nutzen kann. Dazu könnte man erwägen, dass die EU und die USA sowie Kanada sich verpflichten, analog zu der Berlin-Plus-Vereinbarung, mit der die Nato der EU militärisch zu helfen verspricht, der Nato mit nicht-militärischen Mitteln zu helfen. Schließlich würde eine solche Strategie verlangen, dass die Nato-Staaten wie die EU-Nationen ihre Versprechen einlösen und ihre Streitkräfte modernisieren. Das ist mehr als nur die Nato-Eingreiftruppe aufzustellen. Das schließt auch ein, zeitgemäße Wege zur Finanzierung von deren Einsätzen zu finden, anwendbare gemeinsame Einsatzregeln zu entwickeln und multinational finanzierte und betriebene Komponenten aufzustellen, die den Nato- wie EU-Truppen Informationsüberlegenheit geben.

Impulse 21 ist ein zutreffend gewählter Titel. Es gilt, Anstöße zu entwickeln,die der Nato helfen, den Anforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden und die der Bundeswehr die Richtung ihrer weiteren Entwicklung aufzeigen. Klar ist in aller Ungewissheit über die Zukunft: Sicherheit für Europa gibt es nur mit Amerika, mit einer auch politisch transformierten Nato und mit einem Deutschland, das sich im Bündnis aktiv einbringt und das Gewicht nutzt, das ihm eine moderne Bundeswehr verschafft.

Klaus Naumann (66) ist General a. D. der Bundeswehr und war von 1991 bis 1996 Generalinspekteur. Von 1996 bis 1999 war er Vorsitzender des Nato-Militärausschusses in Brüssel, der höchsten Militärinstanz der Allianz. Während seiner Amtszeit veränderte die Nato ihre politischen und militärischen Strukturen grundlegend, um auf Krisen besser reagieren zu können.

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