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Verteilung von Koran-Exemplaren: Missionierungsaktion von Salafisten erschreckt deutsche Politiker

Salafisten planen, 25 Millionen Exemplare des Koran kostenlos in Deutschland zu verteilen. Wie ist diese Aktion einzuschätzen?

Mit ihrem Versuch, bis zu 25 Millionen Ausgaben des Korans unters Volk zu bringen, vor allem unter dessen ungläubigen Teil, haben ultraorthodoxe Muslime in diesen Tagen einen Entrüstungssturm ausgelöst. Aus der CDU/CSU-Fraktionsführung gibt es Forderungen, diese „aggressive Aktion, wo immer möglich, zu stoppen“, Fraktionschef Volker Kauder verurteilte sie, Grünen-Chef Cem Özdemir sieht eine Werbestrategie von Radikalen, die man ihnen „nicht durchgehen lassen“ dürfe, und auch Kerstin Griese, kirchenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, sieht die Gratis-Aktion in Fußgängerzonen „mit großer Sorge“. Für den kommenden Samstag sind nach einem Bericht der "Welt" Koranstände in 38 Städten geplant, auch in Berlin. Die Ulmer Druckerei Ebner und Spiegel, die den Großauftrag vom Verein „Die wahre Religion“ bekam und seit Oktober 300 000 Exemplare ausgeliefert hat, prüft nach Angaben eines Sprechers inzwischen, ob sie den Anschlussauftrag über weitere 50 000 Stück nicht loswerden kann.

Dabei betonen die Kritiker fast unisono, dass im Grunde gegen die Verteilung religiöser Schriften nichts einzuwenden sei. Tatsächlich garantiert das Grundgesetz in Artikel 4 die Freiheit des religiösen Bekenntnisses und „die ungestörte Religionsausübung“. Dazu gehört auch die Missionierung Anders- und Nichtgläubiger, die beiden großen monotheistischen Religionen wichtig ist, Christentum wie Islam. Nur das Judentum ist nicht missionarisch. Der SPD-Innenexperte Michael Hartmann nannte die Aufregung um die Koran-Aktion am Donnerstag denn auch „grotesk“: In einem freien Land dürfe „selbstverständlich die Heilige Schrift einer Weltreligion verbreitet werden“. Auch die FDP-Fraktionsvize Gisela Piltz sieht für ein Verbot der Aktion „keinen Raum“. Den missionarisch besonders eifrigen Zeugen Jehovas hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dies in der Vergangenheit mehrfach bestätigt.

Was im Islam „da’wa“ heißt, Aufruf, Ruf oder Einladung – zum muslimischen Glauben – leitet das Christentum direkt von Jesu Wort im Matthäus-Evangelium ab, der dort seinen Jüngern den Auftrag gibt: „Geht nun hin und macht alle Nationen zu Jüngern, und tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie alles zu bewahren, was ich euch geboten habe.“ Dabei interpretieren Christentum wie Islam diese Pflicht inzwischen deutlich anders als seit der Zeit der Kreuzzüge und der frühislamischen Eroberungszüge. Auf beiden Seiten – deren fundamentalistische Strömungen und Sekten ausgenommen – wird sie mittlerweile als Pflicht gesehen, den eigenen Glauben zu bezeugen. Selbst der im Westen beargwöhnte Schweizer Theologe und führende Theoretiker eines europäischen Islam Tariq Ramadan predigt diese Sicht.

Bleibt die Frage nach den Missionaren, auf deren Dunkelmännertum die Kritiker ihre Verbotsforderungen stützten: Moderne Demokraten sind sie offensichtlich nicht. Auf der Seite „www.diewahrereligon.tv“ bewerben die Videoansprachen des Kölners Ibrahim Abou-Nagie eher einen blinden Gehorsam als aufgeklärte Religiosität: Glaube an Allah bedeute „dass man seinen Befehlen folgt, ohne Wenn und Aber, ohne Phantasieren und Diskutieren. Wir hören und gehorchen.“ Wegen eines Drohvideos salafistischer Eiferer gegen mindestens einen Journalisten, der kritisch über die Koranaktion berichtet hat, wird ermittelt (siehe Kasten unten).

Deutschlands Verfassungsschützer halten jene „Salafisten“, zu denen auch Abou-Nagie zählt, für die gefährlichste Spielart militanten Islamismus. Die Mehrzahl von ihnen seien zwar keine Terroristen: „Andererseits sind fast alle in Deutschland bisher identifizierten terroristischen Netzwerkstrukturen und Einzelpersonen salafistisch geprägt“, sie bereiteten mit hoher Sicherheit „den Nährboden für eine islamistische Radikalisierung“. Auch der 21-jährige Arid U., der im März letzten Jahres am Frankfurter Flughafen zwei US-Soldaten ermordete, wurde nach Erkenntnissen der Ermittler durch den Konsum salafistischer Propaganda im Internet radikalisiert.

Der Salafismus (salaf für „Vorfahren“) gehört zu jenen Fundamentalismen im Islam – die es auch im Christentum gibt –, für die die Glaubenswirklichkeit früherer Zeiten „die wahre“ und Maßstab der Gegenwart ist. Gegen die im Islam von Beginn an etablierte Tradition der Neu-Interpretation (idshtihad) der heiligen Texte und der Überlieferung beharren sie auf einem religiösen Urzustand als dem einzig richtigen und Buchstabentreue zum Koran. Was der Piusbruderschaft der imaginierte, angeblich authentische Katholizismus des 19. Jahrhunderts ist, ist für die Salafisten eine verklärte islamische Frühzeit der Zeitgenossen und ersten Nachfolger des Propheten Mohammed. Der Salafismus gilt als Kind des 19. Jahrhunderts, Vorläuferströmungen sind allerdings auch aus dem 14. Jahrhundert bekannt.

Das Nein zu modernen Interpretationen von Koran und Tradition schließt dabei auch eins zu grundlegenden sozialen Entwicklungen ein, zum Beispiel der Geschlechterrollen. In Saudi-Arabien mit seiner radikalen Geschlechtertrennung, dem Fahrverbot für Frauen und den dort geltenden vormodernen Körperstrafen ist der verwandte Wahabismus gar Staatsreligion. In Ägypten hatte die neue salafistische Partei bei der ersten Parlamentswahl nach dem Sturz Mubaraks praktisch aus dem Nichts einen Riesenerfolg.

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