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Politik: Vertrauen verloren

Von Antje Vollmer

Am Freitag hat eine Mehrheit der Bundestagsabgeordneten dem Kanzler das Vertrauen entzogen. Selbst wenn der Bundespräsident, was ungewiss ist, der Auflösung des Parlaments zustimmen und selbst wenn die Klagen dagegen scheitern würden, der angestrebte Zweck – Neuwahlen – heiligt hier ganz bestimmt nicht die Mittel. Für mich war das ein bitterer Tag. Schon am Abend der Ankündigung schien mir: Das ist kein erfolgreicher Befreiungsschlag, sondern eine Kapitulation, die im Gewande des Geniestreichs daherkommt.

Der Wahlsieg für RotGrün ist schwer und von vielen erkämpft worden. Ich glaube nicht, dass wir das Mandat hatten, ein Viertel der uns verliehenen Handlungszeit ungenützt an den Souverän zurückzugeben. Ja es stimmt, dass die Arbeits- und Sozialpolitik der Regierung von breiten Teilen der Bevölkerung zurzeit nicht getragen wird. Es blieb aber ein Jahr, um für sie zu werben und Fehler zu korrigieren. Ja, es ist schwierig, gegen eine Dauerblockade des Bundesrates anzuregieren. Die aber bliebe selbst bei einem erneuten Sieg von Rot-Grün bestehen. Auch waren nicht alle Chancen für eine Föderalismusreform vertan. Sieben Jahre lang haben die Fraktionen von SPD und Grünen immer für stabile Mehrheiten im Bundestag gesorgt – trotz schwierigster Entscheidungen im Einzelfall. Mehr als einmal hat Gerhard Schröder Machtworte gesprochen, um Regierungsvorhaben durchzusetzen. Nie hat er verloren. Noch in den Tagen und Wochen vor der Vertrauensfrage wurden reihenweise Anträge und Gesetze verabschiedet. Nun kündigt der Kanzler seinerseits den ihn tragenden Fraktionen die Loyalität auf und delegitimiert die ihm bisher gewährte Unterstützung als instabil.

Auch das Parlament wird beschädigt. Die Abgeordneten werden zu Schachfiguren in einer Partie, die die großen Spieler schon verloren gegeben haben. Das Grundgesetz sieht aber keine Volksabstimmung über Regierungspolitiken vor, auch nicht in indirekter Form. Und es sieht kein Selbstauflösungsrecht des Parlaments vor. Nach den aktuellen Erfahrungen bin ich erst recht dafür, dem Parlament dieses Recht endlich zuzugestehen. Ein möglicher neuer Bundestag sollte sich dieses Stück Selbstbestimmung sehr schnell geben.

Der wohl größte Schaden tritt außenpolitisch ein. So schwierig die Reformpolitik im Innern war, außenpolitisch hat die rot-grüne Bundesrepublik einen fast legendären Ruf. Manchmal denke ich, die Spannung zwischen diesem äußeren Respekt und der inneren medialen Übellaunigkeit sei für den Kanzler zur Unerträglichkeit geworden. Er kann sogar für sich die Ehrlichkeit in Anspruch nehmen, dass Rot-Grün für ihn nie die erste Option war. Für viele, die dieses Projekt getragen haben, war es eine seltene einzigartige Chance – auch angesichts der zum Konservativen neigenden Grundtendenz der deutschen Nachkriegsrepublik. Musste das Ende derart selbstzerstörerisch inszeniert werden? Gewiss nicht. Den Schaden haben nicht nur SPD und Grüne. Das politische System droht insgesamt in Turbulenzen zu geraten, deren Ausgang noch nicht abzusehen ist.

Die Autorin ist Bundestagsvizepräsidentin und Mitglied der Grünen.

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