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Kandidatin mit Chuzpe. EU-Kommissarin Vestager brachte sich erst nach der Europawahl als Juncker-Nachfolgerin ins Spiel.

© imago images / Reporters

Vestager mit guten Chancen: Erstmals könnte eine Frau die EU-Kommission führen

Wer bekommt den mächtigen Posten als Chef der EU-Kommission? Manfred Weber strebt das Amt an, doch die Dänin Vestager könnte ihn demnächst noch ausbooten.

Margrethe Vestager ist im Spiel. Spätestens als sich die EU-Wettbewerbskommissarin am Abend der Europawahl in Brüssel mit einem breiten Lachen vor die Kameras stellte und zur Nachfolge des amtierenden EU-Kommissionschefs Jean-Claude Juncker bereit erklärte, war klar: Mit der Dänin ist zu rechnen. Sie könnte die erste Frau an der Spitze der EU-Kommission werden.

Mit ihrer Erklärung vom Wahlabend ist die Liberale Vestager zu einer ernsthaften Rivalin für jenen Mann avanciert, der als erster Deutscher seit einem halben Jahrhundert Kommissionschef werden will: CSU-Vize Manfred Weber, der bei der Europawahl als Spitzenkandidat der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) angetreten war.

Entscheidung wird wohl zwischen drei Kandidaten fallen

Die Frage der Juncker-Nachfolge wird aller Voraussicht nach zwischen Vestager, Weber und dem Niederländer Frans Timmermans entschieden, der bei der Europawahl für die europäischen Sozialisten ins Rennen gegangen war. Der Showdown zwischen den dreien könnte beim nächsten EU-Gipfel am 20. und 21. Juni entschieden werden, vielleicht auch erst später im Sommer.

Für Vestager geht es in der kommenden Zeit bis zum Gipfel darum, im Spiel zu bleiben. Deshalb muss sie jene beiden Gremien überzeugen, die über die Juncker-Nachfolge zu entscheiden haben: das Europaparlament und den Rat der europäischen Staats- und Regierungschefs.

Aus dem Europaparlament, wo Weber in der vergangenen Woche zum EVP-Fraktionschef wiedergewählt wurde, gibt es einige Vorbehalte gegen die Dänin. Als Makel gilt vor allem die Tatsache, dass sie bei der Europawahl sozusagen nur als verkappte Spitzenkandidatin in einem Team mit mehreren anderen europäischen Liberalen angetreten war. „Frau Vestager brachte erst nach der Wahl über die Lippen, dass sie überhaupt Kommissionspräsidentin werden will“, moniert der SPD-Europaabgeordnete Jens Geier. „Wer zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden will, kann seinen Hut nicht erst nach Bewerbungsschluss in den Ring werfen“, erklärt er.

SPD-Abgeordneter Geier prophezeit einen Machtkampf

Für Vestager könnte das Europaparlament auf ihrem Weg an die Spitze der EU-Kommission am Ende zur entscheidenden Hürde werden. Das Verfahren sieht nämlich vor, dass die Staats- und Regierungschefs einen Kandidaten oder eine Kandidatin vorschlagen. In einem zweiten Schritt muss aber das Europaparlament zustimmen. Nach den Worten von Geier sollten deshalb die Staats- und Regierungschefs „keine Kandidatin vorschlagen, die im Europäischen Parlament keine Mehrheit findet“. Der Vorsitzende der SPD-Europaabgeordneten zeigt sich kämpferisch: „Wir sind entschlossen, einen institutionellen Machtkampf mit dem Europäischen Rat auszutragen. Das sind wir unseren Wählerinnen und Wählern schuldig, die Hinterzimmerdeals müssen vorbei sein.“

Zunächst hört sich dies wie eine eindeutige Absage an Vestager an. Die Liberale, die anders als Weber Regierungserfahrung vorweisen kann, könnte aber dennoch am Ende im Europaparlament als Kompromisskandidatin zum Zuge kommen. Dieser Fall könnte eintreten, falls sich EVP und Sozialisten gegenseitig blockieren sollten. Falls die Sozialisten weiterhin Weber als Kommissionschef ablehnen und die EVP ihrerseits bei ihrem Widerstand gegen Timmermans bleibt, könnte im Europaparlament Vestager die lachende Dritte sein.

Grünen-Abgeordneter Giegold: Vestager ist keine Heilige

Dabei müsste die Wettbewerbskommissarin auch die Grünen mit ins Boot holen. Die Ökopartei ist derzeit an informellen Gesprächen mit der EVP, den Sozialdemokraten und den Liberalen beteiligt. Dabei sollen bis zum 17. Juni ein allgemeiner Forderungskatalog der vier Fraktionen für den EU-Gipfel und die Weichenstellungen für die EU-Spitzenämter erarbeitet werden.

Vorab stellt der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold schon einmal klar, dass auch seine Partei nicht hellauf von der Pfarrerstochter aus Glostrup begeistert ist. Co-Fraktionschefin Ska Keller hat zwar schon einmal ihre Präferenz für die Dänin durchblicken lassen, die sich beim Kartellrechtsstreit mit Google und beim Verfahren gegen die Steuertricks von Apple als äußerst durchsetzungsfähig erwies.

Auch Giegold ist durchaus der Auffassung, dass sich Vestager ihren Ruf als „Jeanne d’Arc der Kommission“ zu Recht erarbeitet habe. Allerdings werde oft vergessen, dass sie im März 2018 die Übernahme des US-Konzerns Monsanto durch den Leverkusener Chemiekonzern Bayer genehmigt hat, gibt er zu bedenken.

„Damit hat sie in Deutschland einen erheblichen Schaden zu verantworten“, lautet Giegolds Schlussfolgerung. „Es gibt keinen Grund für eine Heiligsprechung“, sagt er mit Blick auf die bisherigen Leistungen der Wettbewerbskommissarin.

Echte Feinde hat sich die Dänin im EU-Parlament nicht gemacht

Trotz allem könnte Vestager aber am Ende die Bedenken im Europaparlament ausräumen. Denn die Kommissarin hat sich in ihrer bisherigen fünfjährigen Brüsseler Amtszeit dort keine echten Feinde gemacht.

So fand zwar ihr Einspruch gegen die Zugfusion von Siemens und Alstom in Berlin und Paris ein verheerendes Echo. Im Europaparlament erregte die Entscheidung, das Zusammengehen der Zugsparten des Münchner Konzerns und des französischen Konkurrenten zu verhindern, hingegen kaum die Gemüter.

Konflikt zwischen Merkel und Macron

Auf einem anderen Blatt steht hingegen, ob Vestager im Kreis der Staats- und Regierungschefs eine sogenannte qualifizierte Mehrheit hinter sich versammeln kann. Mindestens 21 der 28 Staatenlenker müssen sich auf eine Kandidatin oder einen Kandidaten für die Juncker-Nachfolge verständigen.

Ein besonderes Augenmerk liegt dabei vor dem Gipfel Ende des Monats auf Angela Merkel und Emmanuel Macron. Die Kanzlerin und der französische Staatschef verfolgen unterschiedliche Ziele, wenn es um Junckers Nachfolge geht: Während Merkel den CSU-Vize Weber als ehemaligen Spitzenkandidaten an die Spitze der Kommission bringen will, möchte Macron den Niederbayern ausbooten.

Als der Hausherr im Elysée-Palast im vergangenen Monat gefragt wurde, wen er stattdessen für den Top-Job in Brüssel für geeignet halte, nannte er den französischen Brexit-Beauftragten Michel Barnier, Timmermans – und Vestager.

Niederländer Rutte könnte Vestager Strich durch die Rechnung machen

Damit der Konflikt zwischen Merkel und Macron nicht allzu lange die EU-Geschäfte belastet, wird in der Gemeinschaft nun an einer Paketlösung gebastelt, die im Idealfall bereits beim kommenden Gipfel vorgestellt werden soll. Dabei wird versucht, nicht nur eine passende Besetzung für den Posten an der Spitze der EU-Kommission zu finden, sondern auch gleich eine Nachfolgelösung für EU-Ratschef Donald Tusk, die Außenbeauftragte Federica Mogherini und den Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi. Und wie das in der EU so üblich ist, sollen dabei die Interessen sowohl der Parteienfamilien als auch der West- und Osteuropäer berücksichtigt werden.

Ambitionen auf den Posten des EU-Ratschefs werden auch dem niederländischen Regierungschef Mark Rutte nachgesagt. Fiele die Wahl auf Rutte, wäre Vestager damit automatisch aus dem Spiel. Denn Rutte gehört zur selben Parteienfamilie wie die Dänin – und zwei Liberale in EU-Spitzenämtern würden die gesamteuropäische Balance durcheinanderbringen.

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