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Politik: Viel zu kitten

Von Wolfgang Schäuble

Europareise und Deutschlandbesuch des amerikanischen Präsidenten und die aus diesem Anlass vielfältig veröffentlichten Untersuchungen zur Einstellung der Bevölkerung zum deutschamerikanischen Verhältnis legen nahe, über die Wechselbeziehung zwischen öffentlicher Meinung und politischer Führung nachzudenken. In der Debatte um plebiszitäre Elemente klingt das auch immer an. Klar ist, dass auch die Demokratie nicht auf Führung verzichten kann. Deshalb lassen sich politische Entscheidung und Verantwortung nicht durch die Demoskopie ersetzen.

In der CDU Baden-Württembergs hatten wir vor kurzem eine Mitgliederbefragung zur Entscheidung in der Kandidatenfrage für das Amt des Ministerpräsidenten. Dabei wurde teilweise die Forderung laut, die Mandatsträger der Fraktion und Partei sollten sich mit der Äußerung ihrer Standpunkte zurückhalten, um die Entscheidung der Basis nicht zu beeinflussen. Auf die Erfahrungen und Argumente etwa derjenigen, die mit den beiden Bewerbern mehr als andere zusammengearbeitet haben, wäre auf diese Weise verzichtet worden. In der Konsequenz würden so politische Entscheidungen zum Zufallsergebnis medialer Inszenierung werden.

Die Mehrheit entscheidet, aber die Mehrheitsbildung muss das Ergebnis eines Austausches von Argumenten sein. Und deshalb besteht der Auftrag politischer Führung in der Demokratie, Zustimmung der Mehrheit zu politischen Lösungen und Konzeptionen zu gewinnen. Was das bedeutet, das kann man auch in den Beziehungen zwischen den USA und Deutschland studieren. Allgemein ist die Gefahr wachsender Entfremdung zwischen Amerika und Europa beklagt worden. Unabhängig von unterschiedlichen Meinungen in der Frage, welche Regierung dazu welchen Beitrag geleistet haben mag, bleibt die Einsicht, dass solches Auseinanderdriften der atlantischen Partner mit deutschem Interesse so wenig vereinbar wäre, wie mit dem Bemühen um weltweite Sicherheit und friedliche Entwicklung. Und für diese Einsicht in der Öffentlichkeit Zustimmung zu schaffen, darin liegt der Auftrag politischer Führung und nationaler Verantwortung.

Wenn jetzt allgemein begrüßt wird, dass Spaltungen wieder überwunden werden, dann liegt darin auch das Eingeständnis, dass in der Vergangenheit Fehler gemacht wurden. Kanzler Schröder und Außenminister Fischer, so schrieb neulich ein Beobachter, müssen einem jetzt wie der Zauberlehrling vorkommen. Erst haben sie auf antiamerikanische Ressentiments gesetzt, um die Wahl 2002 zu gewinnen. Und jetzt stehen sie vor den Scherben dieser Politik, die sie mühsam wieder zusammenkitten müssen. Bleibt zu hoffen, dass die Tage von Brüssel und Mainz nicht kurzfristige Inszenierungen bleiben, sondern nachhaltig die Weichen stellen für mehr Partnerschaft und gegenseitige Rücksichtnahme.

Der Autor ist CDU-Präsidiumsmitglied

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