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Politik: Viele Demos und ein Thema: der Präsident

Protest und Freudenkundgebungen treiben Venezolaner auf die Straße

Von Bernd Radowitz,

Rio de Janeiro

Laut hupend haben sich hunderte von aufgebrachten Venezolanern in mehreren kilometerlangen Autokarawanen durch die Hauptstadt Caracas Gehör zu verschaffen versucht. Mit der Lärmdemonstration wollte die Opposition ein Referendum zur vorzeitigen Amtsenthebung des links-populistischen Präsidenten Hugo Chavez erzwingen. Bereits Mitte vergangener Woche waren 200 000 Menschen mit hunderten von rot-gelb-blauen Nationalflaggen durch die Straßen von Caracas gezogen. Zuvor hatten Oppositionsführer der obersten Wahlbehörde des südamerikanischen Landes mehr als drei Millionen Unterschriften von Wählern übergeben, die ein Plebiszit fordern. Laut Venezuelas Verfassung kann der Präsident nach der Hälfte seiner sechsjährigen Amtszeit per Abstimmung abgewählt werden. Am Dienstag war Chavez drei Jahre im Amt.

Trotz der lautstarken Demonstrationen stellt sich der Präsident aber vorerst taub. Das Oppositionsbündnis Coordenacion Democratica beteuert zwar, es habe mit mehr als drei Millionen Unterschriften die für das Referendum geforderte Anzahl von Wahlberechtigten mobilisiert. Chavez versucht jedoch ein Referendum, das nach Prüfung der Gültigkeit der Unterschriften Ende November stattfinden könnte, mit allen Mitteln zu verhindern.

Zunächst behauptete der Präsident, die Unterschriftenaktion sei ungültig, weil sie noch vor Ablauf der Hälfte seiner Amtszeit stattgefunden habe. Außerdem seien viele Unterschriften gefälscht. Dann organisierte Chavez am Wochenende eine Massenkundgebung, zu der ebenfalls mehrere hunderttausend Menschen kamen, um ihn zu feiern. Der Opposition warf Chavez dabei vor, sie wolle einen Putsch versuchen. Dabei hatte Chavez Ende Mai der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), die im Konflikt mit der Opposition vermittelt hatte, die Möglichkeit eines Referendums zugestanden. Die OAS schaltete sich ein, als der Konflikt die Wirtschaft zu ruinieren drohte. Anfang des Jahres hatte die Opposition einen zweimonatigen Generalstreik gegen Chavez organisiert, der die Ölindustrie des Landes fast völlig lahm legte.

Die Wirtschaft stürzte im ersten Quartal um 29 Prozent ab. Obwohl sich die Ölförderung inzwischen wieder erholt, rechnen Ökonomen mit einem Konjunkturrückgang von 13 Prozent im ganzen Jahr. Venezuela war vor dem Streik der fünftgrößte Rohöl-Exporteur der Welt. Der Ölreichtum ist jedoch extrem ungleich verteilt. Eine kleine Elite lebt wie in Europa, während die meisten Venezolaner arm bleiben. Chavez trat 1998 an, um die soziale Schräglage zu beenden. Mit dem Versprechen, Wohlstand für alle zu schaffen, gelang ihm 2000 die Wiederwahl. Allerdings hat die Armut stark zugenommen, und die Arbeitslosigkeit stieg auf 20 Prozent. Nach jüngsten Umfragen will nur noch ein knappes Drittel der Bevölkerung Chavez als Präsidenten. Die Opposition kritisiert, die anti-amerikanische Haltung Chavez’ und seine Annäherung an Fidel Castros Kuba hätten ausländische Investitionen völlig abgeschreckt und seien für die katastrophale Wirtschaftslage verantwortlich.

Bernd Radowitz[Rio de Janeiro]

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