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Politik: Viele indische Computerexperten suchen zwar Arbeit - aber nicht in Deutschland

Natürlich wissen sie über die deutsche Green-Card-Initiative Bescheid. Und Indiens Informatikstudenten fühlen sich durchaus geschmeichelt.

Natürlich wissen sie über die deutsche Green-Card-Initiative Bescheid. Und Indiens Informatikstudenten fühlen sich durchaus geschmeichelt. "Es ist das erste Mal, dass ich aus einem westlichen Land gehört habe: Wir brauchen Euch!", sagt ein angehender Absolvent des Nationalen Instituts für Informationstechnologien in Neu Delhi. Aber wer die jungen Leute genauer befragt, bekommt in der Regel eine Absage. "Unsere klassischen Auswanderungsländer sind attraktiver", sagt Gauri Shankar.

Welches Land die 18-Jährige damit meint, ist klar: "Ich würde lieber in die USA gehen. In den Staaten bieten sie uns sehr gute Bedingungen. Und in New Jersey oder New York ist es fast wie in Indien, weil schon so viele dahin ausgewandert sind. Von Deutschland dagegen habe ich noch nie gehört, dass Softwarespezialisten dort besonders gute Chancen hätten."

Entsprechend zurückhaltend fallen fast alle Reaktionen auf das Angebot von Kanzler Schröder aus, Green Cards an indische Computerexperten zu verteilen. Bei den deutschen Konsulaten auf dem Subkontinent sind bislang nur ein paar hundert Anfragen eingegangen. "Man kann nicht gerade behaupten, dass sich die Bewerber um die Visa reißen", sagt eine Botschaftsangestellte in Neu Delhi. Eine Delegation deutscher Fachhochschulen, die derzeit durch Indien reist und um Studenten für technische Hochschulen in der Bundesrepublik wirbt, hat ähnliche Erfahrungen gemacht: Es gibt ein allgemeines Interesse, aber kaum Euphorie. Zumal die Lebensbedingungen in Deutschland im Vergleich etwa zu Kalifornien schwieriger seien, meint der 22-jährige Siddhartha Singh: "Wir lernen Englisch und Hindi, kein Deutsch oder andere europäische Sprachen. Also haben wir ein Sprachproblem. Und dann ist da das Klima, es soll in Deutschland nicht gerade ausgedehnte Sommer geben."

Auch von der latenten Ausländerfeindlichkeit haben viele schon gehört. Für die Inder in ihrem Vielvölkerstaat ist das ein Phänomen, das sie sich in seinen Auswirkungen kaum vorstellen können. Einige Interessierte befürchten Diskriminierung an ihrem potenziellen Arbeitsplatz. "In dieser Beziehung sind die USA und Europa indes völlig gleich", bilanziert der 20-jährige Informatikstudent Ambuj Jain. "Die einheimischen Experten werden überall bevorzugt."

Ansonsten gilt dem Spezialisten in spe der Arbeitsstil in Übersee als mögliches Hindernis: "Im Westen wird in absoluter Stille gearbeitet. Wir Inder sind aber eine ganz andere Atmosphäre gewohnt. Wenn die Atmosphäre locker ist, arbeiten wir effektiver. Und wenn sich die Umgebung feindlich zeigt, leidet unsere Arbeitsleistung."

Letztlich werden sich aber auch Gauri, Siddhartha und Ambuj irgendwann um einen Job im Ausland bemühen. Denn die Einkommens- und Karriereaussichten sind in Indien, trotz des Softwarebooms in Bangalore, Poona und Hyderabad, schlecht. Etwa acht- bis neunhundert Mark verdient ein Berufsanfänger. Sollte wirklich ein Angebot aus dem Westen kommen, wird deshalb so gut wie niemand widerstehen können.

Eines jedoch ist unübersehbar: In Indien setzt der Computer seinen Siegeszug sogar auf dem Lande fort. Lalpur etwa ist ein Dorf wie viele andere im Norden des Landes. Fernab aller Hektik gehen Bauern und Kleinhändler ihrem Alltag nach, Frauen waschen an trüben Wasserstellen ihre Kleidung, und auf den unbefestigten Wegen tummeln sich Kinder, Kühe und Wasserbüffel. Dennoch hat in Lalpur das Informationszeitalter begonnen: Im Dorfamt steht seit neuestem ein Computer, der mit allen wichtigen Behörden des Verwaltungsbezirks verbunden ist. Staunend blickt Choto Singh auf Monitor und Nadeldrucker, die ihm die Getreidepreise der umliegenden Märkte zeigen und den aktualisierten Wetterbericht liefern.

Besonders begeistert ist der Bauer von den Grundbuchdokumenten, die ihm der Rechner erstellt. Denn immer, wenn Singh einen Kredit aufnehmen will, verlangt die Bank eine Kopie seiner Besitzurkunden: "Einfach fantastisch! Jetzt kann uns der Katasterbeamte, der die Urkunden früher per Hand ausstellte, nicht mehr übers Ohr hauen. Und wo ich früher drei bis vier Tage auf jede Kopie warten musste, kriege ich sie heute in weniger als fünf Minuten. Der Computer ist ein Segen für uns Farmer."

Singhs Optimismus wird von den Anwesenden voll geteilt. "Von wegen Hinterwäldler", sagen die Dorfbewohner, von denen nicht wenige im Lendenschurz erschienen sind. "Dank des Computers wissen wir genau, was in der Welt passiert." Doch die Männer wissen auch, dass die meisten ihrer Nachbarn der modernen Technik nicht trauen. Noch nicht. Sushil Kumar etwa, der den Dorfcomputer bedient, baut darauf, dass die Skeptiker bald neugierig gemacht werden: "Unser Katastersystem ist 200 Jahre alt. Da dauert es natürlich einige Zeit, bis alle die Vorteile des neuen Systems erkennen."

Lalpur ist nur eines von über 400 Dörfern im Distrikt, die im Zuge eines Modellprojektes der Regierung ihre Verwaltung künftig online betreiben. Und die Anwendungsgebiete sind schier unbegrenzt: So haben die Menschen jetzt beispielsweise Kontakt zu ihrem Krankenhaus und den Notfallambulanzen in der Umgebung. Wer will, kann sich sogar seine Steuerschuld errechnen lassen.

Dass der Computer allerdings nicht unfehlbar ist, haben die Bewohner von Lalpur ebenfalls längst begriffen: "Neulich bekam ich einen Grundbuchauszug, an dem nichts stimmte", erzählt einer von ihnen: "Falsche Adresse, falsche Feldnummer. Und überhaupt: Was nützt uns eigentlich dieses Wundergerät, wenn im Sommer wieder mal tagelang der Strom ausfällt?"Der Autor ist ARD-Hörfunkkorrespondent in Neu Delhi.

Michael Weidemann

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