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Politik: Vielfalt in der Einheit

Die Föderalismuskommission sucht Wege zum Umgang mit dem, worauf der Bundespräsident hingewiesen hat: regionale Unterschiede

Berlin - Unter den Mitgliedern der Föderalismuskommission sind die Äußerungen des Bundespräsidenten zur Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse nicht auf Überraschung gestoßen. Man hat dort wohl sogar damit gerechnet. Denn in der vorigen Woche hat sich Horst Köhler mit den beiden Vorsitzenden der Kommission, Franz Müntefering und Edmund Stoiber, zu einem Meinungsaustausch getroffen. Seither kennt Köhler den Diskussionsstand in der Kommission, die erst zum Jahresende mit Ergebnissen aufwarten wird. Und so können die präsidialen Worte, dass es nun einmal regionale Unterschiede in Deutschland gibt und diese nicht durch Subventionen einzuebnen seien, auch als Quintessenz der Unterhaltung mit Müntefering und Stoiber gedeutet werden. „Der Bundespräsident hat gesagt, dass wir nicht nur Differenz haben, sondern auch Differenz brauchen“, sagt der Obmann der SPD-Fraktion in der Kommission, Volker Kröning. Und Müntefering zeigte sich am Montag über die Aufregung verwundert.

Dass die Reform des Föderalismus notwendig ist, da sind sich Politik, Wirtschaft und Wissenschaft einig. Ihm sei wichtig, dass die Föderalismuskommission einen echten Durchbruch bringe bei der Entflechtung der Kompetenzen von Bund und Ländern, hat Köhler gesagt. Der Wille Münteferings und Stoibers, hier zu einem vernünftigen Ergebnis zu kommen, sei in den letzten Wochen noch gewachsen, heißt es in der Kommission. Zu den Ergebnissen wird auch eine gründliche Reform der Passage des Grundgesetzes gehören, in der sich die Forderung nach gleichwertigen Lebensverhältnissen findet: die Artikel 70 bis 75 (siehe Kasten). Sie regeln die Gesetzgebungszuständigkeiten von Bund und Ländern. „Wir werden hier zu einer Neustrukturierung kommen im Sinne einer Entflechtung zwischen Bund und Ländern“, sagt Kröning. Sein CDU-Kollege Wolfgang Bosbach ergänzt, es müsse um die Frage gehen, wie viel Gleichheit man wolle, wie viel Unterschiede man brauche.

Die Tendenz in der Kommission deutet mittlerweile auf eine stärkere Trennung zwischen Bund und Ländern hin. Dabei geht es um Politikfelder, die durchaus lebensnah sind und nicht zuletzt haushaltswirksam: öffentliche Fürsorge (also Sozialhilfe oder Jugendhilfe), Arbeitsrecht und Arbeitsvermittlung, Ausbildungsbeihilfe, das Recht der Wirtschaft, regionale Wirtschaftsförderung, wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser, Straßenverkehr, Bezahlung von Staatsdienern. Nach der Verfassung kann hier (und auf einem Dutzend weiterer Felder) der Bund aktiv werden, wenn es die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse erforderlich macht. Doch sind in den letzten Jahren die Zweifel gewachsen, ob zentrale Regelungen immer die besseren sind angesichts der unterschiedlichen Lebensverhältnisse in Deutschland. Darum sollen hier bald die Länder mehr zu sagen haben. „Damit wachsen dann aber auch die Unterschiede“, so Bosbach. „Es geht um Vielfalt in der Einheit“, sagt Kröning . Er verweist auf das Bundesverfassungsgericht, das in jüngster Zeit in vier Entscheidungen seine eher bundesfreundliche Sichtweise geändert hat und etwa im Urteil zum Ladenschluss das Gesetzgebungsrecht der Länder stärkte – mit ausdrücklichem Hinweis auf die Unterschiedlichkeit der Lebensverhältnisse, auf die der regionale Gesetzgeber besser reagieren kann.

Ob auch bei den Gemeinschaftsaufgaben und im Steuersystem reformiert wird, ist noch nicht klar. Auf den Feldern der so genannten Mischfinanzierungen will vor allem die SPD eine weitere Mitwirkung des Bundes, vorzugsweise bei der Förderung von Bildung und Wissenschaft. „Diese Bestimmungen wollen wir erhalten“, sagt Kröning. Die Länder neigen hier mehrheitlich zum Alleingang.

Änderungen beim Finanzausgleich lehnt Kröning ab, auch wenn die Finanzen und Steuern nicht völlig ausgeklammert seien. Müntefering hatte schon im Sommer klargestellt, dass der Solidarpakt II voll erfüllt werde – in Übereinstimmung mit Stoiber. Reformen bei der Finanzverteilung wird es wohl erst im nächsten Jahrzehnt geben, denn der Solidarpakt läuft noch bis 2019.

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