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Politik: Vietnam war, Irak ist

WIR UND DER KRIEG

Von Robert Birnbaum

Wir haben diesen Krieg nicht gewollt, wir, die Deutschen. Wir haben ihn auch nicht geführt. Trotzdem lässt er uns nicht los. Man kann das, wüsste man es nicht ohnehin schon, an Deutschlands wichtigstem PolitMagazin ablesen. Es wirbt seit Wochen mit einer Landkarte, auf der dort, wo sich „Irak“ finden müsste, das Wort „Vietnam“ geschrieben steht. Die Reklame funktioniert bestens. „Irak“ ist auf dem Wege, vom realen Problem zum Symbol zu werden. Leider ist nun dieser Vorgang selbst ein sehr reales Problem.

Die Schwierigkeiten gründen auf vertrackte Weise darin, dass wir diesen Krieg nicht gewollt haben. So sehr nicht gewollt, dass wir fast allein deswegen eine Regierung behalten haben, die wir mehrheitlich eigentlich schon leid waren; so sehr, dass die Opposition sich bis heute nicht zu sagen traut, ob sie den Krieg gewollt hätte oder nicht. Unsere Motive waren, wie meistens, eine Mischung aus Emotion und Verstand. Wir wollten den Krieg nicht, weil wir keinen deutschen Soldaten an Euphrat und Tigris sterben sehen wollten, aber wussten: Diesmal würde es diese Toten geben. Wir haben die Warnungen vor dem Menschheitsbedroher Saddam nicht so richtig geglaubt und über das Kreuzzug-Getöse aus Washington den Kopf geschüttelt – selbst denen, die am Ende den Krieg unausweichlich fanden, sind die Erweckungspredigten aus der Neuen Welt ja auf die Nerven gegangen.

Warum daran noch einmal erinnern? Weil die Stimmungen von damals bis heute fortwirken. Wer gegen den Krieg war, sieht sich bestätigt. Wo sind denn Saddams angebliche Horrorwaffen? Haben wir etwa nicht gewarnt, dass das Land im Chaos versinken wird? Haben wir uns für solche Einwände von den Rumsfelds dieser Welt beschimpfen lassen müssen? Sollen die sich nicht beschweren, wenn sie jetzt einen Kübel Schadenfreude zurückbekommen! Horst Köhler spricht uns ja aus der Seele: „Arrogant“, blauäugig ist die Supermacht zu Felde gezogen. Den Krieg hat sie gewonnen. Den Sieg nicht.

Wir könnten es dabei bewenden lassen: Wer sich die Suppe einbrockt, soll sie auch auslöffeln. „Vietnam“ ist die Kurzversion dieser Volksweisheit für Intellektuelle. Die Metapher im Klartext bedeutet: Die Rambo-Amerikaner sind wieder einmal mit falschen Gründen und falschen Mitteln in den falschen Krieg gezogen, und wir werden es alle noch erleben, dass der letzte US-Befehlshaber von einem Flachdach in Bagdad per Hubschrauber entschwebt.

Wer sich dieses Schlussfoto ein bisschen genauer ausmalt, wird allerdings recht schnell zu dem Ergebnis kommen, dass er die Szene lieber doch nicht sehen möchte. Schon deshalb, weil wir an anderer Stelle über unsere Rambo-Freunde ganz froh sind. In Afghanistan etwa, wo die Bundeswehr nur deshalb so vorbildlich als Friedenstruppe am Hindukusch wirken kann, weil US-Soldaten im Hindukusch die Friedensfeinde jagen.

Das ist kein Plädoyer für blauäugige Bündnistreue bis in jedes wüste Abenteuer. Aber wir wollen nicht ganz vergessen, dass Amerika Kriege geführt hat, die wir gewollt haben. Wir wollen auch nicht übersehen, dass die Bush und Rumsfeld gewiss blauäugig gen Bagdad marschiert sind, wir altklugen Europäer allerdings ein paar viel einfachere Konflikte direkt vor unserer Haustür genau so wenig in den Griff kriegen. Ein Kurzbesuch in Sarajewo oder Prizren heilt Hochmut rasch und gründlich.

Die Kur hilft auch gegen die Neigung, Symbole wichtiger zu nehmen als die Wirklichkeit. Wir haben den Krieg nicht gewollt, auch weil wir seine Folgen fürchteten. Der Krieg hat trotzdem stattgefunden. Vor den Folgen stehen wir jetzt. Wir, nicht nur „die Amerikaner“. Wir, die wir diesen Teil der Welt gedankenlos, aber nur allzu wahr den „Nahen“ Osten nennen. Was wir tun sollen? Soldaten schicken? Was da zu kämpfen ist, kann die US-Armee wohl alleine. Es ist ohnehin schwer zu sagen, wo wir konkret helfen könnten. Helfen werden wir aber müssen, wider Willen, widerwillig, trotzdem. Der erste Schritt wäre, „Vietnam“ als das zu sehen, was es ist: ein Symbol, abgeschlossene Vergangenheit. „Irak“ ist keine Metapher. Irak ist real, ist ein Teil unserer Zukunft.

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