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Vietnamesen: Ohne Rückflugticket

Am Montag sollen rund 100 Vietnamesen von Berlin aus abgeschoben werden – viele leben seit Jahren hier.

Berlin - Am Montag soll am Flughafen Berlin-Schönefeld eine Massenabschiebung von rund 100 Vietnamesen stattfinden. Es wäre der erste Rücktransport in einer so großen Dimension von Berlin aus. Neben 80 Männern, Frauen und Kindern aus fast allen deutschen Bundesländern sollen auch 20 Vietnamesen aus Polen gegen 17 Uhr an Bord gehen und nach Hanoi durchfliegen. Finanziert wird der gecharterte Airbus 332 von der europäischen Grenzschutzagentur Frontex, die deutsche Bundespolizei soll den Flug abwickeln.

Die Massenabschiebung hat laute Kritik ausgelöst. „In diesem Flugzeug werden hauptsächlich Menschen sitzen, die bis zuletzt in Abschiebehaft saßen“, sagt Jens-Uwe Thomas vom Flüchtlingsrat Berlin. Bei solchen Sammelflügen müssten Betroffene zum Teil monatelang in Gefängnissen auf den Flug warten. Der Rücktransport der Vietnamesen sei auch aus politischer Sicht schwierig: „Vietnam ist schließlich ein Land, aus dem nicht nur Armutsflüchtlinge kommen, sondern auch Verfolgte“, sagt Thomas. Einige der abschiebebedrohten Vietnamesen sollen bereits seit mehreren Jahren in Deutschland und Polen leben. Die meisten hatten als Boots- und Kontingentflüchtlinge versucht, in Deutschland unterzukommen. Bei anderen sei die Duldung nach einem abgelehnten Asylantrag ausgelaufen.

Die Rechtsgrundlage für die Massenabschiebung ist ein „Rückübernahmeabkommen“ zwischen der Bundesrepublik und der vietnamesischen Regierung, das seit 1995 besteht. Viele der Flüchtlinge reisen ohne Papiere ein und können nur ausgewiesen werden, wenn ihre Nationalität eindeutig feststeht. Deshalb kommen mehrmals im Jahr Beamte aus der Sozialistischen Republik Vietnam in deutsche Großstädte, um die mutmaßlich vietnamesischen Ausreisepflichtigen als Staatsangehörige zu identifizieren. Die sogenannten Botschaftsanhörungen finden außerhalb der vietnamesischen Vertretungen statt, meist in Anwesenheit der Bundespolizei in Veranstaltungsräumen von Hotels.

„Diese Anhörungen verlaufen alles andere als transparent“, kritisiert Martin Stark, Leiter des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes in Berlin. Sie fänden in vietnamesischer Sprache statt, es gebe keine neutralen Beobachter. „Niemand weiß, wie die Identifizierung der Asylsuchenden als vietnamesische Staatsbürger abläuft und ob da womöglich Willkür im Spiel ist.“ Martin Stark wird am Montag nicht an der Demonstration vor dem Flughafen Schönefeld teilnehmen, die verschiedene Flüchtlingsinitiativen angekündigt haben. „Wir arbeiten nicht gegen Abschiebungen per se“, sagt Stark, „die wird es leider immer geben“. Seine Organisation setze sich dafür ein, dass Abschiebungen auf ein Mindestmaß reduziert und die Regeln dabei eingehalten werden. Die Flüchtlingsdienste der Kirchen bestehen deshalb darauf, dass bei Sammelabschiebung neutrale Beobachter anwesend sind. In Düsseldorf und Frankfurt sei das längst der Fall, sagt Stark, doch für die Berliner und Brandenburger Direktion der Bundespolizei sei diese Aufgabe noch Neuland. Sobald aber der Airport Berlin-Brandenburg International fertiggestellt sei, könne man regelmäßig von Sammelabschiebungen in der Region ausgehen.

Offiziell leben in Deutschland 100 000 Vietnamesen, darunter viele seit den 70er Jahren von der DDR angeworbene Arbeiter. Gleichzeitig ist Deutschland jährlich Ziel tausender vietnamesischer Asylsuchender. Nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge steht der südostasiatische Küstenstaat derzeit auf Platz drei der Liste der Erstanträge nach Herkunftsländern. In den vergangenen Jahren stellten mehr als 20 000 Vietnamesen einen Antrag auf Asyl. Die bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Vietnam bewertet das Auswärtige Amt als sehr gut. Deutschland ist Vietnams größter Handelspartner innerhalb der Europäischen Union.

Ferda Ataman

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