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Sahra Wagenknecht

© Florian Boillot/Davids

Vize-Chefin der Linksfraktion: Sahra Wagenknecht schreibt Rot-Rot-Grün im Bund ab

Die Vize-Vorsitzende der Linksfraktion rät Griechenland: mehr Konfrontation. Im Interview spricht Sahra Wagenknecht über Athen und den Euro, Putin-Versteher und fehlende Chancen für Rot-Rot-Grün im Bund.

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Frau Wagenknecht, Sie haben kürzlich auf die Kandidatur für den Linken-Fraktionsvorsitz verzichtet. Heißt das, Sie wollen die Positionen der Gesamtfraktion nicht vertreten?

Es gibt viele Positionen, wo ich für die große Mehrheit der Fraktion und auch der Partei spreche. Das reicht von unserer Ablehnung von Kriegseinsätzen und Rüstungsexporten bis zu der Forderung nach einer Millionärssteuer und dem Verbot von Leiharbeit, Missbrauch von Werkverträgen und sachgrundloser Befristung. Aber ich bin nicht in die Politik gegangen, um mich zu verbiegen oder Positionen zu vertreten, die nicht meine sind.

Gilt die Absage auf das Spitzenamt nur für den Herbst 2015?

Jetzt steht an, wie sich die Fraktion im Herbst aufstellt. Dazu habe ich mich erklärt. Alles andere ist jetzt kein Thema.

Rot-Rot-Grün im Bund 2017, sehen Sie dafür eine Chance?

Wenn der potenzielle Kanzlerkandidat der SPD selbst noch nicht mal mehr Kanzler werden, geschweige denn eine andere Politik durchsetzen will, sehen die Chancen schlecht aus. Ich fände es sehr gut, wenn es endlich einmal wieder eine Bundestagswahl gäbe, bei der die Menschen zwischen zwei grundsätzlich unterschiedlichen Regierungsoptionen wählen könnten: einem Weiter-so à la Merkel und einer sozialen Alternative, die außenpolitisch wieder an die Traditionen der Entspannungspolitik Willy Brandts anknüpft. Aber mit Gabriel will die SPD offenbar lieber den Weg ihrer griechischen Schwesterpartei Pasok gehen.

Der Beitrag der Linken zur Wechselstimmung, könnten das Kompromisse mit SPD und Grünen sein?

Herr Gabriel schleift alles weg, was die SPD noch von der CDU unterscheidet: Vermögenssteuer, Vorratsdatenspeicherung, TTIP… Auch der große Niedriglohnsektor ist kein Thema mehr. Wenn die Linke sich dieser trostlosen Unterwerfung unter die Wünsche der oberen ein Prozent auch noch anschließt, könnten wir auch zum altbekannten Modell der Einheitspartei zurückkehren. Ich bin heilfroh, dass es mit der Linken wenigstens noch eine politische Alternative gibt, aber sie steht eben allein nicht für eine alternative Regierungsoption. Und solange die fehlt, kann auch keine Wechselstimmung entstehen.

Ein Grund für Ihren Verzicht auf die Fraktionsspitze ist die Zustimmung Ihrer Partei zu den weiteren Notkrediten an Griechenland. Wieso sind Sie mit Ihrer ablehnenden Haltung so in die Minderheit geraten?

Griechenland war schon 2010 pleite, es war von Frau Merkel vollkommen verantwortungslos, deutsche Steuermilliarden dafür zu verschleudern, Griechenlands Schulden bei den Banken zu bezahlen. Dieses Geld ist zum großen Teil verloren, und die Auflagen der Troika haben das Land nur noch ärmer gemacht. Wir haben als einzige Partei schon 2010 einen Schuldenschnitt für Griechenland gefordert. Statt dessen werden seither alte Schulden mit neuen Schulden bezahlt und mit drakonischen Kürzungsauflagen wird verhindert, dass das Land je wieder auf die Beine kommt. Das ist eine absurde Politik. Deshalb war es falsch, jetzt für die Verlängerung genau dieses Programms zu stimmen, gegen das wir immer gekämpft haben.

Auch die griechische Syriza ist in diesem Punkt gespalten: Die eine Seite will im Euro bleiben und dafür Zugeständnisse an die Euro-Partner machen. Die andere will das eigene Wahlprogramm einhalten und lieber den Euro-Austritt riskieren. Wie stehen Sie zu dieser Frage?

Es war ein Fehler, dass Griechenland der Währungsunion beigetreten ist. Das hat der griechischen Wirtschaft geschadet, Profiteure waren nicht zuletzt deutsche Rüstungsschmieden, die fortan in harten Euro abrechnen konnten. Doch wenn Griechenland jetzt den Euro verlässt und wenn es keine Unterstützung der Europäischen Zentralbank gibt, eine neue Drachme vor einer gnadenlosen Abwertungsspirale zu schützen, dann könnte das schlimme wirtschaftliche Folgen haben. Eine Abwertung von 30 Prozent wäre möglicherweise hilfreich, eine Abwertung von 90 Prozent hätte Hyperinflation und weitere Verarmung zur Folge. Das Land hat ja eine massive Deindustrialisierung erlebt, auch die Landwirtschaft ist geschrumpft, Neues entsteht nicht über Nacht. Das sollten die deutschen Ökonomen, die leichtfertig einen Austritt ohne Stützung durch die EZB fordern, eigentlich wissen.

Welchen Weg sollte Griechenland dann gehen?

Griechenland braucht als erstes ein Schuldenmoratorium. Wenn die Griechen ihre alten Schulden nicht mehr bedienen müssen, brauchen sie auch kein neues Geld. Dann können sie ihre internen Ausgaben aus den laufenden Einnahmen finanzieren – im letzten Jahr gab es ja einen Primärüberschuss – und wenn sie die Einnahmen erhöhen, zum Beispiel durch höhere Steuern für Reiche, dann können sie auch ihre Ausgaben ausweiten und die soziale Katastrophe bekämpfen. Außerdem braucht Athen dringend ein Programm zur Reaktivierung der Wirtschaft, zur Bekämpfung von Filz und Korruption und zur Förderung gerade neuer Unternehmensgründungen, damit wieder mehr Wertschöpfung im Land entsteht. Dafür braucht es auch öffentliche Investitionen und vor allem ein Ende des ständigen Kapitalabflusses bei den Banken, den Schäubles Grexit-Debatte anheizt. Im Notfall muss der mit Kapitalverkehrskontrollen gestoppt werden.

Also ist Ihr Rat für die griechische Regierung: Mehr Konfrontation?

Wenn man ihnen keine andere Chance lässt, könnten sie einseitig die Bedienung der Altschulden stoppen. Syriza kann und wird meiner Einschätzung nach nicht auf den alten Kurs einschwenken, der Griechenland immer tiefer in den Morast aus wachsenden Schulden und ökonomischer Verarmung hineingeführt hat. Das wäre wirtschaftlich falsch und würde außerdem ihren Rückhalt in der Bevölkerung zerstören.

Gibt es bei dieser Konfrontation dann überhaupt noch eine Chance auf ein Happy End?

Das Problem ist, dass die griechische Regierung mit Partnern in der EU verhandelt, die erkennbar das Ziel verfolgen, sie zum Scheitern oder zur Kapitulation zu bringen. Sie wollen ein Exempel statuieren. Es gibt da keinen gemeinsamen Willen das Problem zu lösen.

Griechischer Regierungschef Alexis Tsipras
Griechischer Regierungschef Alexis Tsipras

© Simela Pantzartzi/dpa

Syriza hofft auf einen europaweiten Umschwung zu Gunsten der Linken. Ist das wirklich mehr als nur eine Illusion?

Ich habe auch die Hoffnung, dass sich in Zukunft weit mehr Menschen in Europa gegen eine Politik auflehnen, die nur darauf hinausläuft, ihren Wohlstand zu gefährden und die gesellschaftliche Ungleichheit zu vergrößern. Überall schrumpft die Mittelschicht. Wenn das so weitergeht und keine starken Protestbewegungen von links entstehen, habe ich die große Sorge, dass wir bald in vielen Ländern rechte Parteien nach dem Vorbild des Front National haben.

Apropos Rechte. In Griechenland aber finden Sie die Kooperation mit den rechtspopulistischen „Unabhängigen Griechen“ nicht weiter besorgniserregend?

Natürlich hätten wir uns für Syriza eine absolute Mehrheit gewünscht, aber die hatte sie nun mal nicht und auch nur eine enge Auswahl an Koalitionspartnern. Die Unabhängigen Griechen sind allerdings nicht mit der Lohndumpingpartei AfD und erst recht nicht mit der rassistischen NPD zu vergleichen ist. Wenn überhaupt, dann am ehesten mit der CSU.

Die Kombination Linke und CSU in der Bundesregierung wäre allerdings durchaus ein Aufreger.

Das wäre sicher gewöhnungsbedürftig, aber wenn die CSU etwa die bayerische Verfassung ernst nähme, könnte sie mit uns eine ordentliche Erbschaftssteuer einführen, statt mit CDU und SPD ihre Schwachsinns-Maut durchzukämpfen.

Sie kritisieren die EU-Partner und die Auflagen im Konflikt mit Griechenland massiv. Ist für Sie die Währungsunion als solche ein Fehler?

So wie sie momentan gestaltet ist, spaltet sie Europa statt es zu einen. Wir haben einen einheitlichen Währungsraum, aber keine Vereinheitlichung von Vermögens- oder Konzernsteuern. Das ermöglicht die Steuerflucht gerade der Reichsten, während die Mittelschicht und über steigende Verbrauchssteuern auch die Ärmeren immer mehr zahlen. Es gibt auch keinerlei Regeln, die Lohndumping sanktionieren, wie es etwa Deutschland mit der Agenda 2010 betrieben hat. Damit wurden Länder wie Spanien, Frankreich oder Italien massiv unter Druck gesetzt. Wenn Sanktionen nur bei Haushaltsdefiziten verhängt werden, dann wird sich die fatale Entwicklung fortsetzen: Einige Länder haben riesige Exportüberschüsse und andere werden deindustrialisiert. Deshalb sollte es nicht nur für Defizite Sanktionen geben, sondern auch für Lohn- oder Steuerdumping und ein Niederkonkurrieren anderer Länder mit solchen Mitteln.

Griechenland ist nicht der einzige außenpolitische Streitpunkt. Die Linke gilt auch als Partei der Putin-Versteher. Was gefällt Ihnen am russischen Präsidenten?

Was heißt, Putin-Versteher?  War Willy Brandt ein Breschnew-Versteher, weil er für die Entspannungspolitik eintrat? Das ist doch Blödsinn. Natürlich gefällt uns Putins Innenpolitik nicht, sein Umgang mit Meinungsfreiheit, mit Homosexualität. Und natürlich gefällt uns der russische Kapitalismus nicht, der noch weitaus größere soziale Kontraste aufweist als der deutsche. Aber trotzdem will ich Frieden mit Russland. Es ist nicht meine Aufgabe, die russische Innenpolitik zu gestalten.

Sie müssen sie ja nicht gleich gestalten, aber könnten sie durchaus kritisieren.

Dass ich als Sozialistin keine Anhängerin eines Oligarchen-Kapitalismus bin, sollte sich herumgesprochen haben. Das gilt übrigens auch für die Ukraine. Da ist ein ähnliches Oligarchen-System, teilweise noch brutaler…

Einen sehr einflussreichen Oligarchen hat Präsident Poroschenko gerade gefeuert.

Das ändert nichts an der Herrschaft der Oligarchen, zu denen der ukrainische Präsident ja selbst gehört. Aber noch einmal zurück zu Russland: Es ist falsch, sich von den Vereinigten Staaten, die ganz klare wirtschaftliche Interessen verfolgen – Stichwort Fracking-Gas -, in einen Konflikt mit Russland treiben zu lassen. Das ist wirtschaftlich dumm und politisch gefährlich, weil ein Konflikt mit einer Atommacht irgendwann eskalieren könnte.

Bei der Bewertung der Politik in Kiew hat die Linke, haben Sie immer wieder auf den großen Einfluss rechtsradikaler Kräfte hingewiesen. Worin unterscheidet sich eine solche Argumentation von russischer Propaganda?

Mich interessiert nicht, was die Russen dazu sagen. Selbst die „New York Times“ hat darauf hingewiesen, dass ohne die offen faschistischen Kräfte der Putsch vom Februar 2014 nicht stattgefunden hätte. Und wer kann bestreiten, dass sich die Freiwilligenbataillone mit Hakenkreuzen und anderen Zeichen der Nazis schmücken. Viele Rechtsradikale sind auf Jazenjuks Liste ins Parlament eingezogen. Oder über die „Radikale Partei“.

Und in Russland? Die Putin nahe stehende Vaterlandspartei lädt Rechtspopulisten aus ganz Europa ein, der Ex-NPD-Vorsitzende kommt, aus Moskau fließt Geld an den Front National in Frankreich.

Das eine rechtfertigt doch das andere nicht. Ich finde eine Zusammenarbeit mit Rechtsextremen und erst recht mit Neofaschisten völlig inakzeptabel. Auch auf  Seiten der Aufständischen in der Ukraine gibt es nicht wenige Nationalisten. Das ist die Folge von solchen Bürgerkriegen, dass Nationalismus auf beiden Seiten angeheizt wird.

Wie stehen Sie vor diesem Hintergrund zur Krim-Annexion?

Selbstverständlich sollten in Europa keine Grenzen verschoben werden. Aber es war ein Schritt mit Ansage. Die EU und die USA wussten, dass die russische Seite reagieren wird, wenn sie die Ukraine in eine militärische Kooperation einbinden und die Russen befürchten müssen, dass ihre Schwarzmeerflotte irgendwann von der Nato vertrieben wird. Wenn man das hätte verhindern wollen, hätte man gegenüber der Ukraine eine andere Politik machen müssen.

Sahra Wagenknecht (45) ist stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag. Das Gespräch führten Matthias Meisner und Elisa Simantke.

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