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Völkermord in Bosnien: Die Trauer endet nicht

Auch in diesem Jahr sind bei der jährlichen Gedenkfeier für das Massaker in Srebrenica wieder mehr als 500 Opfer beigesetzt worden. Währenddessen laufen vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal im niederländischen Den Haag die Prozesse gegen die Verantwortlichen Ratko Mladic und Radovan Karadžic.

Er hatte lange Zeit für das niederländische UN-Bataillon „Dutchbat“ als Übersetzer gearbeitet. An jenem heißen Sommertag, dem 12. Juli 1995, als die bosnisch-serbischen Truppen unter dem damaligen General Ratko Mladic die belagerte Stadt Srebrenica bereits eingenommen hatten, wurde Hasan Nuhanovic von seinen Arbeitgebern aufgefordert, seine Eltern und seinen Bruder vom sicheren UN-Gelände wegzuschicken. Draußen vor dem Lager der Blauhelme, einer Fabrik, in die tausende bosnische Muslime geflüchtet waren, standen die bosnisch-serbischen Truppen. Im Lager hörte man bereits von Morden und Vergewaltigungen. Hasan Nuhanovic bettelte, dass seine Familie mit den abziehenden Blauhelmen mitfahren könne, die ja den Auftrag hatten, die Zivilbevölkerung zu schützen. „Du weißt doch, dass wir so viel Gepäck haben, da ist kein Platz mehr im Auto für deinen Bruder“, sagte ein UN-Soldat zu ihm.

Hasan Nuhanovic hat seine Familie nie mehr gesehen. In den Tagen nach dem 12. Juli 1995 wurden etwa 8000 bosnische Muslime, vorwiegend Männer, von den Truppen Mladics ermordet. Die paar hundert schlecht bewaffneten niederländischen UN-Soldaten setzten dem praktisch nichts entgegen und bereiteten den eigenen Abzug aus der ostbosnischen Stadt vor. Nuhanovic hat bereits vor Jahren einen Prozess gegen die Niederlande angestrengt. Vor einem Jahr kam es zu einem wegweisenden Urteil. Ein Gericht in Den Haag machte den niederländischen Staat für den Mord an der Familie Nuhanovics mitverantwortlich. Die UN-Soldaten hätten demnach wissen müssen, was passieren würde, als sie die Familie an die bosnisch-serbischen Truppen auslieferten. Ende Juni 2012 kündigten die Niederlande an, gegen dieses Urteil vor den Obersten Gerichtshof zu ziehen. Die UN trügen in dem Fall die Verantwortung, nicht die Niederlande, so das Argument. Für Leute wie Nuhanovic mag das zynisch klingen. Denn rechtlich ist es nicht möglich, die Vereinten Nationen in dem Fall zur Verantwortung zu ziehen.

„Ich habe bereits neun Jahre vor Gericht gekämpft. Das ist eine Fortsetzung eines Albtraums“, sagt Nuhanovic, der auch „Elie Wiesel von Bosnien“ genannt wird. Er wartet bis heute auf eine Entschuldigung der Niederlande. Demütigungen sei er bereits gewohnt. „Der niederländische Staat hat ja sogar geleugnet, dass mein Vater, meine Mutter und mein Bruder aus dem Lager hinausgeschickt wurden“, sagt der heute 44-Jährige zum Tagesspiegel.

Für Nuhanovic geht es um die Klärung der Verantwortung. „Jeder Mensch sucht nach Gerechtigkeit. Das ist in unseren Genen“, sagt er. 2007 urteilte der Internationale Gerichtshof (IGH), dass Serbien, das Mladics Truppen in Bosnien unterstützt hatte, dafür verantwortlich sei, den Völkermord in Srebrenica nicht verhindert zu haben. „Das war ein guter Trick von Westeuropa und den USA, den Grad ihrer Verantwortung nach unten zu setzen. Denn wenn Serbien lediglich schuld daran ist, dass es den Genozid nicht verhindert hat, dann ist niemand dafür verantwortlich, den Genozid begangen zu haben. Und die EU und die USA sind dann also für gar nichts verantwortlich“, kritisiert Nuhanovic. Aus seiner Sicht sind die USA und die EU dafür verantwortlich, den Genozid nicht verhindert zu haben, und Serbien für die Verübung des Völkermords selbst.

Kriegsverbrecher Mladic und Karadžic vor Gericht

Zur Zeit stehen Mladic und der Ex-Führer der bosnischen Serben, Radovan Karadžic, unter anderem wegen des Völkermords in Srebrenica vor dem Haager Jugoslawien-Tribunal. Am Montag begann die Beweisaufnahme gegen Mladic. Im Prozess gegen Karadžic ließ die Anklage Ende Juni den Anklagepunkt des Völkermords in anderen bosnischen Gemeinden im Jahr 1992 fallen. Die Anklage wegen Völkermords an den Bosniaken in Srebrenica bleibt aber bestehen. Dieser wird in Bosnien-Herzegowina noch immer von manchen geleugnet oder verharmlost, etwa vom Präsidenten der Republika Srpska, Milorad Dodik. „Es ist sehr gefährlich, wenn Führungsfiguren Völkermord leugnen“, sagt Nuhanovic.

Die menschlichen Überreste von Hasan Nuhanovics Mutter wurden unter einem Müllhaufen in einem nahe gelegenen Dorf, jene seines Vaters und seines Bruders in einem Massengrab gefunden und 2010 auf dem Friedhof von Potocari beigesetzt. Auch am gestrigen Mittwoch wurden bei der jährlichen Gedenkveranstaltung in Potocari wieder 520 neu identifizierte Opfer beigesetzt. Bisher liegen hier 5137 Tote begraben, deren Identität geklärt werden konnte.

Vor dem Krieg in Bosnien-Herzegowina (1992-1995) war etwa ein Drittel der Bevölkerung in Srebrenica muslimisch. Heute leben mehrheitlich Serben in der Stadt, die zur Republika Srpska gehört, einem von zwei bosnischen Landesteilen, die durch den Krieg geschaffen wurden. Da auch Bosniaken, die aus Srebrenica geflohen sind, in ihrer früheren Heimatstadt wählen dürfen, hat Srebrenica einen bosniakischen Bürgermeister. Das könnte sich nach den Lokalwahlen im Herbst ändern. Diesmal würden die bosnisch-serbischen Parteien dafür sorgen, dass Srebrenica einen Serben als Bürgermeister bekomme, kündigte Dodik an.

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