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Volker Kauder: "In der Darstellung nach außen haben wir Probleme"

Volker Kauder über Stabilität in der Koalition, konservative Vereinsmeier und die Piratenpartei, über die er am liebsten gar nicht sprechen würde.

Von
  • Hans Monath
  • Robert Birnbaum

Das Jahresende ist die Zeit der besinnlichen Rückschau. Wenn Sie mal an den Dezember 2010 denken – was hat sich geändert am Zustand der Koalition?

Die Koalition ist gleich stabil. Der Koalitionspartner hat einen Generalsekretär verloren; das hat die FDP stark beschäftigt. Aber die Koalition funktioniert gut.

„Gleich stabil“ – damals wurden in der FDP erste Stimmen laut, dass es mit dem Parteichef nicht mehr weitergehe …

„Gleich stabil“ ist völlig richtig. Wir haben in der Koalition gerade 2011 ganz wichtige Dinge vorangebracht. Bei der Haushaltskonsolidierung sind wir einen großen Schritt vorangekommen. Wir haben schwierige Entscheidungen zur Stabilisierung des Euro getroffen – immer mit der Kanzlermehrheit. Also: Die Koalition ist handlungsfähig. In der Außendarstellung haben wir allerdings immer wieder Probleme. Das war in dieser Woche leider wieder so.

Ist der Ausgang des FDP-Mitgliederentscheids nur eine Atempause für die Koalition oder führt sie zu einer dauerhaften Stabilisierung?

Das Votum dokumentiert, dass die FDP zu dem Kurs der dauerhaften Stabilisierung Europas steht. Nun gibt es in dieser zentralen Frage der deutschen Politik keine Zweifel mehr. Das stärkt die Koalition und die neue FDP-Spitze. Darüber kann auch die Union froh sein.

Sie haben selbst die Kanzlermehrheit erwähnt. Demnächst ist sie wieder fällig, zuerst beim Votum über den dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM.

Da werden wir sie auch wieder zeigen.

Als Nächstes kommt der Euro-Stabilitätsvertrag, wieder Kanzlermehrheit.

Es geht um einen völkerrechtlichen Vertrag, der zudem Auswirkungen auf den Haushalt haben dürfte. Da muss der Bundestag immer zustimmen. Diesmal wollen wir allerdings schon im Vorfeld beteiligt werden.

Aber Verträge handeln doch gemeinhin Regierungen untereinander aus?

Bei Gesetzen können wir als Parlament mitgestalten, bei Verträgen konnten wir nur Ja oder Nein sagen. Ich habe der Bundesregierung aber gesagt, dass wir diesmal schon in den Verhandlungen beteiligt werden wollen. Wir wollen nicht nach dem Motto „Vogel friss oder stirb“ die Hand heben.

Und die Regierung macht mit?

Die Bundeskanzlerin trägt das aus voller Überzeugung mit. Sie ist ja auch Mitglied des Parlaments. Bei der Neugestaltung Europas, und darum geht es, ist es zwingend, den Bundestag von Anfang an eng zu beteiligen. Das ist eine ganz zentrale Frage für unsere Zukunft. Außerdem wissen alle, dass man Mehrheiten in dieser schwierigen Frage leichter bekommt, wenn die Fraktionen und der Bundestag von Anfang an beteiligt waren.

Wie sich Volker Kauder eine engere Zusammenarbeit zwischen EU, Ministerien und Parlament vorstellt.

Wie sollen wir uns das vorstellen – Angela Merkel verhandelt in Brüssel, und hinter ihr sitzt immer ein Fraktionskommissar?

Das würde wahrscheinlich nicht so gut ankommen bei den Partnerländern. Nein, wir erwarten, dass die Bundesregierung uns während der Verhandlungen ständig über den Stand der Dinge unterrichtet – im zuständigen Ausschuss oder in der Fraktion –, so dass wir unsere Positionen dazu formulieren können. Ich schließe auch nicht aus, dass wir im Bundestag noch während der Verhandlungen eine Debatte haben werden.

Wollen Sie nur Bescheid wissen oder auch konkret Einfluss nehmen?

Wir wollen beteiligt werden. Natürlich müssen wir der Regierung auch Handlungsspielraum lassen. Wenn jedes nationale Parlament alles im Detail festlegen wollte, kämen die Staaten nie zueinander. Aber die Grundlinien, die Höhe von Verpflichtungen und Finanzierungsanteilen sollten wir mitbestimmen. Über die Verfahren reden wir jetzt. Das ist auch für uns etwas Neues. Aber es ist allen Beteiligten klar, dass der Bundestag frühzeitig mitwirken muss.

Der Bundestag – das wäre dann aber auch die Opposition?

Bis jetzt haben wir in der Koalition darüber gesprochen. Aber bekanntlich habe ich schon in der Vergangenheit dafür gesorgt, dass vor Gipfeln in Brüssel der ganze Bundestag mit ganz großer Mehrheit eine Erklärung verabschiedet hat. Das hat übrigens die deutsche Position wesentlich gestärkt. In diesem Geiste will ich die Opposition hier ebenfalls beteiligen.

Nur, was hilft die ganze Mitsprache, wenn Angela Merkel nach einer langen Gipfelnacht mit einem Kompromiss zurückkommt, den Sie dann doch wieder nur abnicken können?

Bisher ist Angela Merkel von allen Gipfeln mit Beschlüssen zurückgekommen, die uns sehr gut gefallen haben. Das wird auch diesmal der Fall sein.

Über die FDP haben wir geredet; in der CDU gibt’s aber auch Ärger. Die Konservativen wollen sogar eine eigene Vereinigung gründen, weil sie sich überfahren fühlen.

Mandatsträger haben jede Möglichkeit, sich in die politische Diskussion einzubringen. Ich habe nichts gegen Gesprächskreise. Auch ich treffe mich mit Kollegen. Aber es geht nicht, dass so etwas institutionalisiert wird.

Was soll denn daran ungehörig sein?

Die CDU ist eine Volkspartei. Sie wendet sich an alle Menschen in diesem Land. Sie ist keine Gesinnungspartei. Das ist bei der SPD anders – wenn man da neu in die Bundestagsfraktion kommt, wird man gefragt: Willst du zu den Seeheimern oder in die Parlamentarische Linke oder zu den Netzwerkern? Wir als CDU kennen so etwas nicht.

Ihre Fraktion hat doch aber jede Menge Arbeitskreise: Evangelische, Mittelstand, Arbeitnehmerflügel ...

Ja, aber in jedem dieser Kreise sind Konservative, Liberale und Christlich-Soziale vertreten. Eine Aufspaltung der Partei oder der Fraktion nach Haltungen sollte es nicht geben. Im Übrigen: Wenn jemand, der eher konservativ fühlt, das Profil der CDU schärfen will, dann soll er eine konkrete Anregung machen. Ich habe das C-Profil der CDU durch meinen Einsatz für Christen in aller Welt mehr geschärft, als wenn ich immer nur über unser Profil geredet hätte. Handeln und konkrete Vorschläge sind gefragt.

Diese Konservativen beklagen doch aber, dass ihre Anregungen alle missachtet werden – die Anregung, dass die Dinge so bleiben sollen, wie sie sind!

Diese Diskussionen führen uns nicht weiter. Ich rate dringend dazu, nicht ständig den Ball auf den Elfmeterpunkt zu legen, die Kanzlerin aufzufordern, ins eigene Tor zu gehen und dann draufzuschießen.

"Bei den Anhängern der Piraten handelt es sich um weitgehend unpolitische junge Leute."

Das ist ein gutes Stichwort. Welche Art von Geschütz empfehlen Sie denn gegen die Konkurrenten von morgen, die Piraten?

Ich glaube nicht, dass wir uns mit den Piraten auseinandersetzen sollten. Das macht sie nur interessanter.

Sie sind also immer noch nicht bei Twitter?

Nein, ich twittere nicht und bin auch nicht bei Facebook. Ich sehe, dass über diese Medien Persönlichkeitsrechte massiv gefährdet werden könnten. Ich glaube, dass Facebook mit den Daten seiner Nutzer nicht ordentlich umgeht. Aber auch ohne diesen Punkt: Was Sie in Facebook einmal als Daten oder Fotos hinterlegen, wird unter Umständen nie vergessen. Wenn diese jungen Menschen, die heute so für die Freiheit im Netz schwärmen, sich mit 30 für einen Job bewerben, könnte sie das erheblich beschweren. Heute wird jeder Bewerber gegoogelt.

Die jungen Menschen sehen vor allem die Chancen: freie Kommunikation mit jedermann, überall und immer …

Ich war immer ein Anhänger der Freiheit. Unter anderem darum bin ich auch in die CDU eingetreten. Wenn ich jetzt aber Kollegen sehe, die bei Facebook oder Twitter mitmachen – sind die noch frei? Die müssen regelmäßig mitteilen, wo sie sind und was sie grade tun, sonst sind sie nicht mehr drin im Spiel. Da fällt mir grad noch ein, dass ich andauernd aufs Handy gucken soll!

Wir haben schon einmal erlebt, wie sich etablierte Parteien vom Lebensgefühl der nächsten Generation abgekoppelt haben. Daraus wurden die Grünen. Wiederholen Sie nicht diesen Fehler?

Soweit ich sehe, handelte es sich bei den Anhängern der Piraten zunächst um weitgehend unpolitische junge Leute. Sie einigte ein Thema: die vermeintliche Freiheit im Netz. Ich werde mit Interesse verfolgen, wie sie mit dem Druck umgehen, im Parlament zu allen Themen gefragt zu werden.

Und was, wenn sich solch eine Gruppe einen wie den frischgebackenen Internet-Freiheitsexperten Karl-Theodor zu Guttenberg als Entwicklungshelfer ruft?

Eine bestimmte Popularität hängt immer von einem bestimmten Umfeld ab.

Das Gespräch führten Robert Birnbaum und Hans Monath.

Als Kind wollte Volker Kauder Zirkusdirektor werden. Seit Ende 2005 ist der badische Jurist etwas Ähnliches: Fraktionschef der Union im Bundestag. Vorher war er Fraktionsgeschäftsführer und ein Jahr lang CDU-Generalsekretär. Als „Merkels rechte Hand“ musste sich Kauder öfter neu positionieren – zuletzt, als es für den Kernkraftbefürworter darum ging, den Ausstieg zu realisieren. Kauder war auch kein Freund der großen Koalition, kam dann aber bestens mit seinem SPD-Gegenüber Peter Struck klar. Verheiratet ist der 62-Jährige mit einer Ärztin. Auch darum liegt ihm Sozialpolitik am Herzen. In seinem Wahlkreis gründete er einen Förderverein für psychisch Kranke. Und das „C“ im Parteinamen ist dem evangelischen Christen Verpflichtung.

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