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© dpa

Volksabstimmung: Schweiz verbietet Bau neuer Minarette

Die Schweiz ist das erste Land der Welt, das die Errichtung von neuen Minaretten untersagen will. Nach einer aggressiven Kampagne verbuchten die Gegner der Moscheetürme einen durchschlagenden Erfolg: Rund 58 Prozent der Bürger, bei einer Wahlbeteiligung von 54 Prozent, sagten am Sonntag laut Medien Ja zu einem Bauverbot.

Die Initiative erreichte nach den Hochrechnungen auch eine Mehrheit in den Kantonen. Vertreter der 400000 Muslime in dem Land mit seinen fast acht Millionen Einwohnern zeigten sich geschockt. "Die Moslems fühlen sich als Glaubensgemeinschaft in der Schweiz nicht akzeptiert", sagte Farhad Afshar, Präsident der Koordination islamischer Organisationen in der Schweiz.

Die Regierung des Landes (Bundesrat) und global tätige Unternehmen müssen jetzt negative Reaktionen im Ausland fürchten. Zunächst gab das Kabinett keine Stellungnahme zu dem Ergebnis ab. Im Vorfeld hatten Bundesrat und Parlament die Initiative abgelehnt. "Für den ohnehin angeschlagenen Ruf der Schweiz dürfte ein Schaden zu befürchten sein", warnte die "Neue Zürcher Zeitung", das Blatt des Schweizer Establishments. Der Berner Islamwissenschaftler Reinhard Schulze erklärte: "Die Glaubwürdigkeit der Schweiz wird leiden." Der Soziologe Jean Ziegler sagte dem Tagesspiegel: "Es herrscht eine Pogromstimmung. Viele Muslime fürchten sich vor Anschlägen, vor Gewalt, vor Stigmatisierung. Zuerst gab es nur eine kleine Gruppe in der Schweizerischen Volkspartei, hart an der Grenze zum Faschismus, die ein Bauverbot für Minarette forderte. Jetzt aber ist das Feuer im ganzen Land entfacht."

Die Führer der Anti-Minarett-Kampagne hingegen brachen in offenen Jubel aus. "Ich bin sehr befriedigt", sagte Ulrich Schlüer, Abgeordneter der rechtsnationalen Schweizerischen Volkspartei (SVP). Schlüer und seiner Mitstreiter hatten die Schweizer wochenlang mit antimuslimischen Parolen und Hetzreden bearbeitet. Die Minarette symbolisierten einen "Herrschaftsanspruch des Islam" über die christliche Schweiz. Die Muslime wollten dem Land ihr mittelalterliches Recht aufzwingen, Frauen würden gesteinigt, Männer zum Hass auf den Westen angestachelt. Auf das Minarett folge zwangsläufig der Muezzin, der Gebetsaufrufer. Befürworter des Bauverbots ließen durchblicken, dass sie als nächsten Schritt einen Abriss der vier bestehenden Minarette fordern könnten.

Schlüer ließ seinem Abscheu gegenüber den Muslimen auch in seiner Zeitschrift "Schweizerzeit" freien Lauf. Dort druckte er einen Artikel ab, der zur "Massenausschaffung der Muslime" aus der Schweiz aufruft. Das Nein der Schweizer zu Moscheetürmen markiert auch einen weiteren Erfolg für die SVP als nationalkonservative politische Kraft - als einzige große Partei unterstützte sie die Anti-Minarett-Initiative. Die SVP um ihren Anführer Christoph Blocher gewann in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr Anhänger. Mit harter Rhetorik macht die Partei gegen die EU, gegen Asylsuchende und generell gegen alles Fremde mobil. Dabei gerieten besonders nach den Terrorattacken islamistischer Fanatiker verstärkt die Muslime in das Visier der SVP. Im Vorfeld hatten Experten gewarnt: SVP-Mann Schlüer und seine Helfer wollen mit der Minarett-Initiative eine Abstimmung über den Islam erzwingen. Das scheint ihnen gelungen zu sein.

Vor allem auf dem Land und in den Regionen der Deutschschweiz verfing die Kampagne gegen den Islam: In Appenzell-Innerrhoden hießen über 70 Prozent der Wähler ein Bauverbot für Minarette gut. Die Gegner des Bauverbots konnten nach den ersten Auszahlungen nur im Kanton Genf mit rund 60 Prozent Nein-Stimmen einen klaren Erfolg verbuchen. Meinungsforscher betonen, dass vor allem parteiunabhängige Stimmbürger den Ausschlag für das massive Nein zu weiteren Minaretten gaben. Bis kurz vor Ende prognostizierten die Meinungsumfragen noch ein Nein der Eidgenossen zu dem Minarett-Bauverbot. Ob das Bauverbot tatsächlich in die Verfassung des Landes aufgenommen wird, ist jedoch fraglich. Rechtsexperten betonen, eine derartige Vorschrift verstoße mit großer Wahrscheinlichkeit gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, insbesondere gegen das Recht auf Religionsfreiheit. "Es darf nicht sein, dass religiöse Minderheiten jetzt damit rechnen müssen, ungleich behandelt zu werden", warnte Thomas Wipf, Präsident des Rates der Schweizerischen Evangelischen Kirche.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte könnte das Vorhaben stoppen, er würde sich somit gegen den klaren Willen der Schweizer für ein Bauverbot stellen. Helvetiens Justizministerin, Eveline Widmer-Schlumpf, sagte zu den Konsequenzen eines möglichen Urteils: "Würden wir ein solches Urteil trotz mehrmaliger Mahnung ignorieren, könnte die Konsequenz sein, dass wir aus dem Europarat ausgeschlossen würden.

Jan Dirk Herbermann[Genf]

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