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Politik: Volksaufstand oder inszenierter Putsch? - Bis heute ist umstritten, wie es zur Erschießung des Diktators kam

Was sich während des Aufbegehrens in Rumänien 1989 auf der Straße abspielte, ist wenig zweifelhaft; nachdem die Proteste Bukarest erreicht hatten, war dies eine Fernseh-Revolution, die das Land am Bildschirm miterlebte. Was aber hinter den Kulissen passierte, liegt auch zehn Jahre danach im Dunkel.

Was sich während des Aufbegehrens in Rumänien 1989 auf der Straße abspielte, ist wenig zweifelhaft; nachdem die Proteste Bukarest erreicht hatten, war dies eine Fernseh-Revolution, die das Land am Bildschirm miterlebte. Was aber hinter den Kulissen passierte, liegt auch zehn Jahre danach im Dunkel. Ein spontaner Volksaufstand, aus Verzweiflung über Kälte, Hunger und ein menschenunwürdiges Dasein? Oder ein vorbereiteter Putsch von oben gegen den Diktator Nicolae Ceausescu, gesteuert aus der zweiten Reihe der Nomenklatura, die an die Macht wollte, vermutlich unterstützt von Moskau? Also nur ein simpler Austausch der Herrschaftsclique, bei dem sich die Drahtzieher durch Provokationen der Straße bedienten, weil erst der Mythos der Revolution ihnen Legitimation gab, und um davon zu ablenken, dass kein demokratischer Wandel vorgesehen war?

Der offene Widerstand begann am Donnerstag, 14. Dezember 1989, in Temesvar im Westen; Hunderte, voran Angehörige der ungarischen Minderheit, demonstrierten vor dem Haus ihres protestantischen Pastors Laszlo Tökes, um dessen Zwangsversetzung zu verhindern. Er hatte in seinen Predigten die Diktatur kritisiert. Am Freitag sind es Tausende, am Sonnabend an die Zehntausend, nun in der Mehrzahl Rumänen. Immer öfter sind Parolen aus Leipzig und Prag zu hören; die Wende in Ostmitteleuropa hatte man im Banat über das jugoslawische Fernsehen verfolgt: "Wir sind das Volk", "Keine Gewalt", "Nieder mit der Diktatur". Doch nun greifen die Sicherheitskräfte ein. Schüsse fallen. Tagelang bleibt die Situation verworren. Uniformierte kontrollieren die Straßen. Immer wieder kommt es zu Zwischenfällen, Prügeleien, Schusswechseln - für die einen Beleg wachsenden Widerstands "von unten", für die anderen inszenierte Provokationen. Am Mittwoch, 20. Dezember, verbreitet sich das Gerücht, die Armee habe sich auf die Seite der Demonstranten und gegen den berüchtigten Geheimdienst Securitate gestellt.

Am 20. springt der Protest nach Siebenbürgen über - wie das Banat diesseits der Karpaten gelegen und westlich orientiert dank der langen Zugehörigkeit zur Habsburgermonarchie -, sowie in die Hauptstadt Bukarest. Ceausescu verlangt hartes Eingreifen, lässt am 21. Dezember Jubel-Trupps auf dem Platz der Republik aufmarschieren, spricht zu ihnen. Doch Dissidenten haben sich unter die Menge gemischt, Pfui-Rufe sind hörbar, die Fernsehübertragung wird abgebrochen.

Am 22. folgen Massendemonstrationen: auf dem Universitätsplatz, vor dem ZK-Gebäude und dem Rundfunk-Hauptquartier. Der Verteidigungsminister und mehrere Generale verweigern den Schießbefehl. Der Diktator und seine Frau Elena fliehen mit einem Hubschrauber. Am Abend wird per Fernsehen die Bildung eines Rats der "Front der nationalen Rettung" unter Leitung des kaltgestellten Alt-Funktionärs Ion Iliescu gemeldet. Dem Rat gehören - zunächst - auch renommierte Dissidenten wie Mircea Dinescu an. Auf der Straße verbrüdern sich Armeeeinheiten mit den Demonstranten. Nach wie vor feuern Unbekannte von Dächern in die Menge. Armee und Securitate beschießen sich vielerorst mit schweren Waffen.

Am 23. Dezember werden die Ceausescus auf der Flucht verhaftet. Die Kämpfe klingen dennoch nicht ab. Am Nachmittag des 25. wird das Paar vor ein Militärgericht gestellt, zum Tode verurteilt und erschossen. Teile des Prozesses und die Leichen werden am 26. im Fernsehen gezeigt. Die Kämpfe enden.

In der Folgezeit dominieren Iliescu und seine Nationale Rettungsfront die Politik. Proteste anderer Parteien und der Studenten werden zweimal durch randalierende Bergarbeiter zum Verstummen gebracht. Die ersten freien Wahlen im Mai 1990 gewinnt Iliescu. Er hält sich bis 1996 an der Macht.

Eine unvollendete Revolution? Ja. Genügt das als Beleg, dass alles gesteuert war, eine Farce? Die Demonstranten zeigten großen Mut. Die übereilte Erschießung der Ceausescus war nötig, um den Widerstand der Securitate zu brechen. Das Übrige mag Verschwörung gewesen sein. Es lässt sich aber auch erklären durch die Deformation der politischen Kultur unter Ceausescu und die generelle Verspätung Rumäniens auf dem Weg zur "civil society". Die Rätsel bleiben.

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