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Volkszählung: Indien ist China auf der Spur

In einer Volkszählung werden die etwa 1,2 Milliarden Inder erfasst – der Subkontinent könnte bald die Volksrepublik überholen. Die Zählung soll auch ein anderes Megaprojekt unterstützen. Die Regierung will alle Bürger mit einer persönlichen Identifikationsnummer ausstatten.

Sonia Gandhi ist mit gutem Beispiel voran gegangen. Im Schatten eines Banyan-Baumes sitzend, füllte die Chefin von Indiens altehrwürdiger Kongresspartei im Garten ihrer hoch gesicherten Residenz in Delhi als eine der allerersten den Bogen mit den 29 Fragen aus. Ihre Antworten würden sicherlich nicht nur Journalisten brennend interessieren, immerhin rangiert die 64-jährige für viele Inder immer noch irgendwo zwischen ungekrönter Königin und Halbgöttin. Doch alle Daten, das gelobt Indiens Regierung, sollen streng geheim und geschützt bleiben.

Erstmals seit zehn Jahre zählt Indien wieder sein Volk. Und das ist eine Mammutaufgabe, die es in sich hat. Rund 2,7 Millionen Beamte sind derzeit auf dem Subkontinent ausgeschwärmt, um jeden der knapp 1,2 Milliarden Inder aufzuspüren, zu befragen und zu erfassen. Binnen drei Wochen sollen die Interviewer 7742 Städte und 600 000 Dörfer abklappern.

Bereits seit 1872 findet alle zehn Jahre eine Volkszählung statt. Doch der Zensus Nummer 15 ist nicht nur die zweitgrößte Volkszählung der Welt, er ist auch der bisher umfassendste in der Geschichte Indiens. In einem ersten Durchgang vom April bis September 2010 wurden zunächst alle Haushalte gezählt, es kamen 240 Millionen zusammen.

Nun geht die gigantische Zählung in ihre Endphase – und könnte für manche Überraschung gut sein. Für den zahlenvernarrten Westen mag es schwer zu glauben sein – aber niemand weiß derzeit sicher, wie viele Menschen tatsächlich in Indien oder auch nur in der Kapitale Delhi leben. Beim letzten Zensus 2001 wurden 1,02 Milliarden Menschen gezählt. Inzwischen schätzt man die Einwohnerzahl auf knapp 1,2 Milliarden. Dazu sollen auch die Millionen Obdachlosen, die auf den Straßen und unter Brücken campieren, am letzten Tag der Zählung erfasst werden. Sicher scheint bereits eins: Indien dürfte in nicht ferner Zukunft den benachbarten asiatischen Rivalen China mit seinen 1,3 Milliarden Einwohnern überholen und damit zur größten Nation der Welt aufsteigen. Anders als in China gibt es Indien kein Ein-Kind-Politik.

Die Interviewer sollen es aber nicht beim reinen Zählen von Köpfen belassen, sondern auch eine riesige Datenflut zusammentragen. So fragen sie nicht nur nach Religion, Heiratsalter, Einkommen, Kinderzahl, Beruf und Sprache. Sie sollen auch herausfinden, ob die Menschen Handys, Computer, Bankkonten oder Internet besitzen. Erstmals soll auch erhoben werden, wie viele Inder in Hütten leben oder wie viele in festen Gebäuden leben und ob sie Strom, Trinkwasser und Toiletten haben. Auch die Kaste soll erfragt werden – nach Kritik allerdings nun in einer getrennten Umfrage später im Jahr.

Die Volkszählung soll auch ein anderes Megaprojekt unterstützen. Die Regierung will alle Bürger mit einer persönlichen Identifikationsnummer ausstatten. Bisher können Millionen Inder nicht einmal beweisen, dass sie existieren. Sie verfügen über keine Papiere, keine Geburtsurkunde und oft auch keine Adresse, weil sie auf der Suche nach Arbeit durchs Land ziehen. Betroffen sind meist die Ärmsten der Armen. Und für sie hat dies fatale Folgen: Sie können kein Bankkonto eröffnen, ihre Kinder nicht zur Schule schicken und bleiben auch bei staatlichen Hilfsprogrammen außen vor. Das Mammutprojekt, das im September 2010 startete, dürfte sich allerdings noch Jahre hinziehen.

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