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Politik: Volle Kirchen, leise Zweifel

Der Papst in Polen: Aus der einheitlichen katholischen Kirche sind viele Strömungen geworden

Von Thomas Roser, Warschau

Rote Plastikrosen ranken sich um das weiße Birkenkreuz. Fest hat die junge Frau an der Spitze der Prozession ihre Last im Griff. Gitarrenklänge, Gesänge und Gebete krächzen aus Dutzenden von Megaphonen über die Pilgerschar – die 4000 Studenten der „22. Akademischen Wallfahrt“ von Warschau nach Tschenstochau (Czestochowa) sind immer noch typisch für das heutige Polen. Am Freitagabend traf der Papst in seinem Heimatland ein.

Nirgendwo in Europa scheinen Tradition und Glauben noch immer so fest im religiösen Empfinden zu wurzeln wie im Heimatland des Papstes. Nicht nur die sonntäglichen Menschentrauben vor den Kirchen, sondern auch die Meinungsforscher bestätigen Polens Ruf als eine der stärksten Bastionen des Katholizismus.

Während in Westeuropa die Kirchen über Austritte und leere Gotteshäuser klagen, bezeichnen sich in Umfragen 93 Prozent der Polen als gläubige Katholiken, mehr als die Hälfte besucht regelmäßig die Messe.

Auch über Nachwuchsmangel hat Polens Kirche nicht zu klagen. Die Priesterseminare sind voll, immer mehr polnische Seelsorger füllen die Personallücken der benachbarten deutschen Kirche auf. Doch trotz der beeindruckenden Statistiken sieht Jan Turnau, Kirchen-Journalist der liberalen „Gazeta Wyborcza“, Polens Kirche in einer zunehmend „schwächeren“ Position.

Während des Sozialismus sei die Kirche der wichtigste Bündnispartner im Kampf der Polen gegen die Parteiherrschaft gewesen: „Aber der Kampf gegen den Kommunismus ist nun hinfällig. Und die Kirche definiert nur sehr langsam ihre neue Position, lernt schlecht, erkennt eigene Fehler kaum." Noch immer leuchten die Augen von Marian Kordaszewski, wenn der frühere Stahlarbeiter von dem Kampf der Bewohner der Krakauer Arbeitersiedlung Nowa Huta um ihre Kirche erzählt. Zehntausende Bewohner der sozialistischen Modellsiedlung pflegten selbst im Winter zur Messe auf das freie Feld zu pilgern: „Ohne Glauben konnten die Leute nicht leben.“ Nach jahrelangen Schikanen lenkte die entnervte Parteiführung ein, konnte der damalige Krakauer Kardinal und heutige Papst Karel Wojtyla 1977 endlich die futuristische Kathedrale der „Arche“ weihen. „Wir ließen uns von den Kommunisten nicht unterkriegen, überstanden den Sturm wie Noah in seiner Arche“, erklärt Kordaszewski die symbolträchtige Architektur.

Die Hoffnung mancher Bischöfe, aus Polen nach der Wende einen katholischen Musterstaat zu machen, erfüllte sich allerdings nicht. Es treffe „leider“ nicht ganz zu, von Polen als einem katholischen Land zu sprechen, klagt Wieslaw Strzelczyk, der im Krakauer Vorort Lagiewniki mit seiner Familie die für den bevorstehenden Papstbesuch errichtete Kathedrale inspiziert: „Der Glaube spiegelt sich in der Realität nur selten wider.“ Es mache ihm Sorgen, dass es in Polen kaum „einen tief verinnerlichten“ Katholizismus gebe. Der Fiat-Arbeiter aus Bielsko-Biala spricht stattdessen von einer „katholischen Kultur“, die vor allem auf Traditionen beruhe.

Als keineswegs einheitlichen Block umschreibt das katholische Wochenblatt „Tygodnik Powszechny“ Polens Gemeinschaft der Gläubigen, die es in vier Gruppen einteilt: die eher „traditionellen“ Katholiken, die „wahren“ Katholiken, die fundamentalistischen Hörer von „Radio Maryja“ und die Gläubigen, die kaum noch eine Bindung zur Kirche haben. Die Kirche habe eben „viele Strömungen“ – auch solche, die eine „antisemitische Politik betreiben“, seufzt in seiner Warschauer Wohnung Vater Michal Czajkowski, der wegen seines Engagements für den Dialog mit den Juden Drohbriefe nationalistischer Eiferer erhält. Vor allem Radio Maryja habe einen „negativen Einfluss“ auf die „Massen“, bedauert der Theologie-Professor: „Die Kirche ist stärker als früher polarisiert."

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