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Politik: Vom Arschgeweih zum Wickelbär

Dies ist die Zeit des Individualismus. Wir wollen uns unterscheiden!

Dies ist die Zeit des Individualismus. Wir wollen uns unterscheiden! Deshalb rollen unsere Autos individuell tiefergelegt auf Breitschlappen und zeigen der Welt das verchromte Endrohr, deshalb stechen wir uns Löcher in Ohr und Nase und hängen Metallteile rein. Und erst das Tätowieren: Ein Arschgeweih mittleren Formats ist heute das Minimum, wollen wir im Schwimmbad nicht schief angesehen werden, und selbst stockbiedere Betriebsprüfer im Vorruhestand (nur ein Beispiel!) tragen gern eine schwarze Rose über dem Gemächt oder einen täuschend echt tätowierten Stacheldraht am Arm. Vorbilder: „Kretsche“ Kretschmar, der Pergamon-Altar der Körperkunst, und David Beckham, der eher aussieht wie die Klowand einer kunstbetonten Sonderschule.

Sollte nun jemand schon den Eindruck haben, er sei ohne diesen Zierrat ganz allein auf der Welt: Bitte, das ist nicht so. 8,5 Prozent der Deutschen sind tätowiert, 7 Prozent tragen ein Piercing, das entnehmen wir einer Umfrage der Zeitschrift „Psychologie heute“. Und Psychologen gehen natürlich auch dem Grund nach. Er lautet: Die Betreffenden wollen mit dem Körperschmuck Abwechslung in ihr Leben bringen. „Die subjektiv erlebte psychische Gesundheit“, heißt es etwas spitz in der Studie, sei bei Tätowierten „im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung deutlich schlechter“. Auf gut Berlinisch würde der Tätowierte also wohl sagen: „Ick jloob, ick spinne.“ Er wohnt übrigens eher in der Stadt als auf dem Land, gehört eher keiner Religionsgemeinschaft an, ist dafür häufiger arbeitslos – da kann er gewiss jede Abwechslung brauchen.

Was aber sind die Trends? „Branding“ ist stark im Kommen. Das kennen unsere älteren Leser noch aus „Bonanza“, wo es aber nur an Pferden angewendet wurde. Zisch! mit einem glühenden Stempel auf den Hinterschinken, das war so eine Art Wegreitsperre für Viehdiebe. Am Menschen ist der Sinn weniger klar – vielleicht Schutz gegen Entführungen? Sehr schmerzhafte Sache, das, und damit nur bedingt betriebsprüfertauglich, eher was für die ganz harten Abwechslungssucher.

Aber auch für die ängstlichen Trendjunkies gibt es was Neues. Ein Blick auf Paris Hilton, Beruf: Hotelerbin, reicht aus, um die Zukunft zu sehen. Sie hat sich soeben von Baby Luv, ihrem Wickelbären, beißen lassen. Da ist alles drin: Individualität, Abenteuer. Über ihre subjektiv erlebte psychische Gesundheit wissen wir leider nichts.

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