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Vom Kanzleramt in den Landtag: Bloß nicht das Ehefrauen-Ding

Doris Schröder-Köpf hat viele Lebensphasen gemeistert als politische Korrespondentin, alleinerziehende Mutter oder als Kanzlergattin. Anspruchsvoll war jede. Nun kämpft sie in Niedersachsen für die SPD um einen Landtagssitz und gegen Vorurteile.

Sie sieht alles. Man fühlt sich ertappt, wenn sie einen anschaut. Im Gespräch mit anderen sucht sie oft Körperkontakt, herzt, nimmt in den Arm, gibt Begrüßungsküsschen. Gleichzeitig scannt sie fast unmerklich die Umgebung und die Personen. Es ist erstaunlich, diese Frau kann alle in den Blick nehmen und zugleich allen Aufmerksamkeit schenken.

Doris Schröder-Köpf kommt mit Franz Müntefering am Arm und einem Kamerateam im Schlepptau in ein Backsteingebäude in der Südstadt von Hannover geschlendert. Bürgerliches Milieu, rund 150 Gäste warten. Sie kommt nicht, wie es hier üblich wäre, norddeutsch distanziert daher, sondern trotz ihrer leicht verletzbar anmutenden Physiognomie herzhaft bayrisch – von dort stammt sie.

Die Besucher fühlen sich wohl neben ihr. Sie gibt Gästen das Gefühl, willkommen zu sein. Aber sie ist auch nervös. Diese Abendveranstaltung an einem Montag im Oktober im Kinder- und Jugendtheater „Klecks“ ist für sie keine Routine. Offiziell wird über den demografischen Wandel diskutiert. Aber im Grunde geht es um ihr neues Leben – jenseits der Kanzlergattin a.D.

Als solche steht sie zwar noch immer unter ständiger Beobachtung und wohl auch ewig, denn ihren durch den Ehemann erlangten Bekanntheitsgrad kann sie nicht abstreifen wie ein altes Kleidungsstück. Aber jetzt, findet sie, mache der Bekanntheitsgrad auch mal Sinn.

Und so betritt diese kleine Bühne hier in Hannover, tiefstes Ex-Kanzlerland, bei gedämpftem Licht und im schwarzen Hosenanzug eine neue Frau. Doris Schröder-Köpf ist jetzt selbst Politikerin. Die einstige Klosterschülerin, Journalistin, einige Jahre alleinerziehend und zuletzt also Kanzlerehefrau und Mutter von Klara, 21, und den Adoptivkindern Viktoria, 10, und Gregor, 6, will am 20. Januar für die SPD in den niedersächsischen Landtag einziehen.

Sie hat nicht an irgendeinem Zaun gerüttelt und gebrüllt, sie wolle da rein. Als erste politische Aktion ist sie Müll sammeln gegangen und dann Klinken putzen in ihrem Wahlkreis 24, in Döhren, Wülfel oder Kleefeld. Sie hat sich nicht gescheut, in einer Art Urwahl gegen eine sozialdemokratisch verdiente Gewerkschafterin anzutreten, die den Wahlkreis seit 1994 vertritt. Sie hat gewonnen, auch wenn einige Kritiker anstatt sich mit Schröder-Köpfs Ansichten zu beschäftigen lieber „Putin“, „Gazprom“ oder „Agenda 2010“ riefen, um sie zu diskreditieren und mit Begriffen zu bekämpfen, die eher ihren Ehemann meinen.

Sie hat gelernt einzustecken. Auf die Frage, wann es sie ärgere, immer auch die Ehefrau des Ex-Kanzlers sein zu müssen, antwortet sie: „Es ärgert mich immer dann, wenn mich dieser Umstand nahezu wehrlos macht. Aus dieser privaten Verbindung ergeben sich nämlich auch Verpflichtungen, die über den Tag hinaus andauern.“

Gleich wird Franz Müntefering, der Polit-Profi, über das Thema Demografie sprechen. Er wird witzig und ernsthaft zugleich reden. Er kann das natürlich, einen riesigen Bogen spannen über zahlreiche Themen und hübsche Anekdoten hinweg. Am Ende ist es manchmal schwer sich zu erinnern, wie er dorthin gelangt ist. Müntefering spricht frei wie ein Entertainer. Doris Schröder-Köpf schaut immer wieder auf ihre losen Zettel, mit denen sie sich vorbereitet hat.

Am Tag danach wird sie ehrlich zugeben, dass sie Probleme hat, frei zu reden. Und dass sie während der Auseinandersetzung mit ihrer Gegenkandidatin lernen musste, Reden zu halten und öffentlich hart zu streiten. An diesem Abend macht sie keinen Fehler, aber sie hält sich auch dezent zurück, die Bühne gehört Müntefering. Schröder-Köpf plaudert nicht wie er. In der Diskussion ist sie diejenige, die leiser und präziser ist, sachlich trägt sie ihre Standpunkte vor. Immerhin hat sie Standpunkte: zur Inklusion von Behinderten etwa oder der falschen Förderung von regionalen Projekten mit Steuergeld. Sie fordert mehr Ausgabendisziplin wegen der Schuldenbremse und klügeres Verteilen. Sie ist konkret auch im Kleinklein.

Am Ende wird Franz Müntefering am Rande gefragt, was die Politikerin Schröder-Köpf auszeichnen könnte. Der ehemalige Arbeitsminister, 72, überlegt kurz, aber es fällt ihm nichts ein. Er kenne solche Fragen schon, wenn es um seine Frau gehe, die werde auch immer auf ihn reduziert, sagt er. „Lassen Sie den jungen Frauen ihre eigene Persönlichkeit.“

Münteferings Ehefrau Michelle, 32, kandidiert 2013 für den Bundestag, er nicht mehr. Er hat also seine Gründe, um die „jungen Frauen“, wie er sagt, zu verteidigen. Im Falle von Doris Schröder-Köpf, die 49 ist, wirkt seine Solidarität merkwürdig altväterlich.

Sie hat immer, so weit es möglich war, für sich selbst gesprochen. Sie hatte ihren Plan im Kopf, und dieser Kopf war immer politisch. Zu Hause im bayrischen Tagmersheim bei Augsburg wollte sie nicht bleiben, also ist sie aufs Internat zu den Franziskanerinnen nach Dillingen gezogen. Nach dem Abitur folgte ein Volontariat bei der „Augsburger Allgemeinen“, später war sie in Bonn Hauptstadtkorrespondentin für „Bild“ und „Kölner Express“, jüngstes Mitglied der Bundespressekonferenz.

Sie hat Guido Westerwelle noch als Vorsitzenden der Jungen Liberalen interviewt oder Texte des Volontärs und späteren „Bild“-Chefredakteurs Kai Diekmann redigiert. Ihre Beziehung zu einem ARD-Journalisten, mit dem sie zwei Jahre in New York lebte, scheiterte. Aus ihr ging Tochter Klara hervor. Sie hat die New Yorker Business-Frauen bewundert, die in hohen Absätzen herumliefen und in der Handtasche die Turnschuhe zum Wechseln bei sich hatten.

Sie kam als Alleinerziehende zurück. Aus New York nach Tagmersheim, Landkreis Donau-Ries, weil sie woanders keinen Krippenplatz bekam. Sie war finanziell nicht auf Rosen gebettet, eine Zeit lang lebte sie wieder im alten Kinderzimmer. Dann baute sie mit wenigen Kollegen und harten Arbeitstagen den „Focus“ mit auf. Doris Schröder-Köpf kennt viele Facetten eines Frauenlebens.

Über ihre Zeit als alleinerziehende Mutter sagt sie: „Ich habe in Erinnerung, wie stark die Verantwortung wog und wie groß manchmal der Schmerz darüber war, so viele Erlebnisse nicht teilen zu können – vom ersten Schritt bis zu den ersten quasi philosophischen Gesprächen über Leben und Tod.“ Sie will niemandem zu nahe treten, aber ihre Erfahrung sei: „Es müssen nicht Mutter und Vater sein, aber es ist gut, wenn zwei Elternteile da sind für ein Kind.“

Als Gerhard Schröder und sie ein Paar wurden, musste sie ihr Leben aus der Hand geben. Sie musste lernen zu schweigen, sich nach hinten stellen, hinter ihn und das Amt. Aber sie stand nie im Schatten, so hat sie das nicht gesehen. An seiner Seite, mit Einfluss und eigenem Büro im Kanzleramt, stand sie aus Liebe und mit Disziplin. Und immer auf Augenhöhe! Das ist übrigens vor allem ihm wichtig. Und jetzt ist er dran, sich einzufügen.

Einen Tag nach der Münte-Show eilt Doris Schröder-Köpf an ausgekipptem Spielzeug und einem Kleinkind vorbei die Treppe eines Mittagslokals empor. Eigentlich sollte das Gespräch mit ihr im gemeinsamen Büro der Schröders stattfinden, eine Haustür weiter. Dort sitzt man in gediegenem Mobiliar, der Schwere des ehemaligen Amtes angemessen. An Doris Schröder-Köpf wirkt nichts schwerfällig, außer ihr spürbarer Drang, Kontrolle zu behalten. Sie hat Hunger und verlegt das Treffen in ihr geliebtes Bio-Restaurant. Es heißt „Zurück zum Glück“.

Sie ist gestresst, aber sie strahlt. Sie sagt: „Ich habe jetzt ein neues Leben, es hat für mich persönlich eine neue Qualität. Das macht mich glücklich.“ Sie setzt sich in das helle Holzambiente, ein lebensfreundlicher Ort für eine Mittagspause, viele Kinderwagen, sie bestellt Salat mit Rührei. In ihrem Hals kratzen Erkältungsviren. Das Handy klingelt, sie fragt: „Und die Hausarbeiten? Seid ihr mal mit dem Hund rausgegangen?“

Man sollte nicht unterschätzen, was das für sie heißt, ihre Termine wieder selbst zu bestimmen. Sie genießt das. Doris Schröder-Köpf ist zurück in ihrem Leben, und dieses Mal wird sie dort so lange bleiben, wie sie es selbst für richtig hält. Und die Wähler mitspielen.

Ein "Glücksfall" für die SPD

Für die niedersächsische SPD ist sie „ein Glücksfall“, sagt einer aus derselben; nicht nur, weil sie bekannter ist als der Spitzenkandidat Stephan Weil, sondern „weil sie sich bundespolitisch einmischen wird“. Sie werde auch eine wichtige Stimme in der Bundespartei sein.

Und tatsächlich hat sie schon am Vorabend in die freundlichen Töne ihrer Begrüßung hinein ein paar politische Statements gestreut und das Thema „Demografie“ für sich besetzt und interpretiert. Sie sagte, „ich will, dass Niedersachsen zum Familienland Nummer 1 wird“, und mit diesem Satz schafft sie es prompt in die „Bild“.

Jetzt, im „Zurück zum Glück“, trinkt sie Bio-Cola und redet darüber, dass das Thema Familie sie seit über 20 Jahren umtreibt. Erst habe sie darüber geschrieben, dann habe sie erlebt, wie es sei, als Alleinerziehende in Bayern ohne Betreuungsmöglichkeiten. Später, als Ehefrau des Kanzlers, habe sie oft schweigen müssen. Und jetzt wundere sich ihre älteste Tochter, dass ihre Mutter immer noch herumrödele, um passende Betreuungsmöglichkeiten zu finden.

Sie will sich jetzt endlich einmischen in diese schon so lange währende Debatte. Sie sagt: „Elterngeld sollte an die Bedingung gekoppelt sein, dass Väter die Hälfte der Zeit zu Hause bleiben. Das finanzielle Argument nach dem Motto ‚Der Vater verdient eben mehr’ müsste dann ausgeglichen werden.“

Zu Hause hat sie in gewisser Weise damit begonnen, Männerpolitik zu machen, auch wenn sie weiß, dass sie mit Gerhard Schröder ein ganz besonderes Exemplar anzulernen hatte und dass er in dieser Hinsicht nicht mehr zum strahlenden gesellschaftlichen Vorbild taugt. Aber andererseits ist es auch nicht so, dass sie mit der Vaterrolle von Gerhard Schröder nur kokettiert. Dafür ist es ihr zu ernst.

Es ist nun einmal so, dass der Altkanzler auf die 70 zugeht, und er ist noch immer ein international gefragter Mann. Er ist unterwegs in der Schweiz, Russland, China und anderswo. Wenn er aber zu Hause ist, und das wird er künftig hauptsächlich sein müssen, macht er dann genug? Sie formuliert exakt: „Ich würde es so ausdrücken: Mein Mann macht – derzeit – mit den Kindern mehr, als es der Generation meines Vaters möglich war und weniger, als es für die Generation meines jüngeren Bruders bereits üblich ist.“

Der „Zeit“ hat sie 2010 einen Einblick in das Familienleben gegeben und gesagt: „Ich will nicht leugnen, dass es harte Gefechte gegeben hat. Das Schwierigste war, ihm klarzumachen, dass es Zeiten gibt, in denen er für die Familie zuständig ist.“ Sie erzählt offen, dass er lernen musste, wie wichtig es ist, dass er dabei ist, auch wenn es bei Kindern Sachen gebe, „die er nicht versteht“.

Was sich anhört wie eine familiäre Selbsthilfegruppe, ist letztlich noch immer statistische Realität in diesem Land. Gerhard Schröder ist keine Ausnahme!

Trotz der steigenden Anzahl von Vätern, die in Elternzeit gehen, hat sich wenig an der Verteilung der Familienarbeit verändert. Väter bleiben zu etwa 75 Prozent nur für zwei Monate ihrem Job fern, und bei der großen Mehrheit dieser Väter wiederum ist die Partnerin in dieser Phase ebenfalls zu Hause.

Doris Schröder-Köpf will als Politikerin alle Väter „motivieren“, ihre Erfahrungen mit der Kinderbetreuung zu machen. „Nur wenn sie am Anfang dabei sind, werden sie später wissen, was es bedeutet, ein Kind großzuziehen. Was es bedeutet, einen Menschen, der sich nicht selbst helfen kann, zu versorgen.“ Sie hofft, dass man über diesen Weg vielleicht auch mehr Männer in die Kitas, Grundschulen oder Pflegeeinrichtungen bekommt. Dann würden in diesen Berufen die Löhne steigen.

Ein Kanzlerhaushalt als Ideenschmiede für die Familienpolitik, das hat es noch nicht gegeben. Und wenn man Doris Schröder-Köpf so reden hört, sehr engagiert – warum will sie nicht in ein Ministeramt?

In Niedersachsen stehen die Chancen für einen Wechsel von Schwarz-Gelb zu Rot-Grün gut. SPD und Grüne kommen in Umfragen auf knapp 49 Prozent. Aber im SPD-Schattenkabinett taucht Doris Schröder-Köpf nicht auf. Stattdessen schrieb die „Zeit“, sie wähle dieselbe Strategie „wie die meisten Frauen, die es in der Männerwelt zu etwas bringen wollen: die Fleiß-Methode. Die Fleiß-Methode kann einen weit bringen, aber Nummer eins wird man damit nicht.“ Schröder-Köpf benutzt selbst ein anderes Wort: „Vernunft“. Man muss der Vollständigkeit halber hinzufügen, dass es sich um strategische Vernunft handelt. Sie sagt es so: „Man muss auch vernünftig sein – ich will jetzt erst einmal in den Landtag einziehen.“

Das ist allerdings weniger defensiv gedacht, als es jetzt gerade klingt. Früher wollte sie Chefredakteurin werden, und heute, das sagt sie sehr gelassen, werde sie sich ganz gewiss auch mit der Zeit um eine Führungsposition bemühen. Wer das als Fleiß-Methode abtut, findet sie, solle es tun. Sie sagt: „Niemand muss sich Sorgen machen, ich habe meinen Ehrgeiz und kann wagemutig sein. Aber ich mache das auf meine Weise, sonst fühle ich mich nicht wohl.“

Am Ende, als sie schon fast wieder auf der Treppe steht, sagt sie noch, sie sei gefragt worden, ob sie nicht ein Doppel-Interview mit Michelle Müntefering geben wolle. Sie lacht und schüttelt jetzt doch mal ziemlich mädchenhaft den Kopf. Auf dieses „Ehefrauen-Ding“ habe sie keine Lust.

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