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Politik: Von Bausoldaten und Maskenträgern

Der Bundespräsident hat sie zusammengeführt: Zeitzeugen reden mit Schülern über Opposition und Widerstand in der DDR

Von Matthias Schlegel

Berlin - Nur einmal kommt so etwas wie Heiterkeit auf: Als Roland Jahn erzählt, wie er sich an einem 1. Mai in Jena mit einer Maske, die halb Hitler, halb Stalin zeigte, neben die Tribüne mit den Parteifunktionären stellte. Das Lächeln in den Gesichtern der Schüler gefriert gleich wieder: „Einen Tag später wurde ich weggefangen und in den Knast gesteckt.“ Nach seiner Freilassung wird er in Knebelfesseln in den Westen abgeschoben.

Es sind die ganz persönlichen Erlebnisse der Podiumsgäste, die den 60 Zehntklässlern von der Georg-HerweghOberschule Hermsdorf und vom Heinrich-Hertz-Gymnasium Friedrichshain besonders unter die Haut gehen. Opposition und Widerstand in der SED-Diktatur ist das Diskussionsthema, zu dem Bundespräsident Horst Köhler die Schüler und sechs ehemalige DDR-Dissidenten ins Schloss Bellevue eingeladen hat. Denn beides, so das Staatsoberhaupt in seiner Begrüßungsansprache, dürfe nicht in Vergessenheit geraten: weder die SED-Diktatur noch das Leid und die menschliche Größe derjenigen, die sich mit diesem Unrecht nicht abgefunden haben“. Es sei ihm wichtig, dass die Erinnerungen der Opfer ernst genommen werden. „Denn die Gegner und Opfer dieses Regimes sind es, die in einer Zeit der Unterdrückung die positiven Werte der Menschlichkeit verkörpert haben.“

Köhler hat in den vergangenen Monaten mehrere solcher Erinnerungszeichen gesetzt: Als er das ehemalige Stasigefängnis in Hohenschönhausen besuchte, als er sich in der Stasiunterlagenbehörde informierte. Immer wieder hat er auch erfahren, dass die Zeugnisse von Repression und Widerstand zu verblassen drohen und häufig die Generation der Nachgeborenen gar nicht mehr erreichen. Deshalb eröffnete er mit dieser Veranstaltung eine Reihe von Schülergesprächen, die im Juni in der Gedenkstätte Bautzen fortgesetzt wird.

Marcus Kieslich vom Hertz-Gymnasium hat nicht den Eindruck, dass dieses Kapitel deutscher Geschichte in Vergessenheit gerät. Aber aus dem Munde von Zeitzeugen davon zu hören, sei eben noch einmal etwas anderes, als es vom Lehrer, den Eltern oder aus Büchern zu erfahren. Leonardo Freitag aus Friedrichshain und Marcel Weigel aus Hermsdorf haben sowieso ihre ganz eigenen Erfahrungen: Als Fans von „Eisern Union“ hören sie, die zur friedlichen Revolution noch gar nicht auf der Welt waren, von ihren älteren Sportfreunden immer wieder die Geschichten von der unversöhnlichen Rivalität zum einstigen „Stasiverein“ BFC Dynamo, von Repressalien und Verrat.

Es ist die Vielfalt widerständigen Verhaltens und politischer Verfolgung, die den Schülern den Blick weitet für eine Art von Zivilcourage, die nicht nur vom Staat bekämpft, sondern auch vom Großteil der Bevölkerung misstrauisch beäugt wurde. Wenn Gerd Poppe, 1985 Mitbegründer der Initiative für Frieden und Menschenrechte, von seiner Leidenszeit als Bausoldat berichtet, wenn sich Pfarrerin Ruth Misselwitz an die Verunsicherungen angesichts des riesigen Zustroms 1981 in ihrem Pankower Friedenskreis erinnert, wenn Studentenpfarrer Erhart Neubert von den Kämpfen für Religionsfreiheit seiner Anvertrauten erzählt, wenn Michael Beleites als illegaler Chronist des Uranbergbaus in der „copyshopfreien“ DDR vom Problem der Vervielfältigung kritischer Unterlagen spricht, wenn Harald Bretschneider das ungeahnte Provokationspotenzial eines Lesezeichens mit dem Symbol „Schwerter zu Pflugscharen“ erläutert – dann ist kein Raum für Ostalgie.

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