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Politik: Von der Basis verlassen

Die grüne Parteiführung erlebt auf dem Sonderparteitag zur Afghanistan-Politik eine schwere Niederlage

Von Hans Monath

Zwei Minuten nach der Verlesung der Ergebnisse der Fußball-Bundesliga, kommt das Ergebnis der Abstimmung: Nicht der Antrag der Grünen-Parteiführung zur deutschen Afghanistan-Politik, sondern der einer weit kritischeren Basis-Initiative mit dem Kürzel „A05“ erhielt auf dem eigens einberufenen Sonderparteitag eine klare Mehrheit. Die Mehrheit der Delegierten brach in frenetischen Jubel aus.

Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke rang sich zwar noch zu einer „aufrichtigen Gratulation an die Initiatoren des Sonderparteitags und des Antrags A05“ durch. Ihre freundlichen Worte zum erstaunlich großen Stimmenabstand zwischen Parteiführung (264) und ihren erfolgreichen Herausforderern (361) konnten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Parteiführung mit einer wirren und von vielen Parteifreunden herbe kritisierten Vorgabe für die Afghanistan-Politik in Göttingen eine herbe Niederlage erlitten hatte. Sie wird viele Fragen nach der Strategiefähigkeit der führenden Repräsentanten der Ökopartei nach sich ziehen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Parteichef Reinhard Bütikofer noch eine Minute vor der Verkündung seiner Niederlage den Daumen wie ein Sieger nach oben reckte und seine Ko-Chefin Claudia Roth nach dem Verlesen des Ergebnisses mit strahlendem Lächeln laut klatschte.

Zu zentralen Fragen des Afghanistan-Mandats hatten beide Parteichefs zuvor diametral entgegen gesetzte Standpunkte vertreten: Während der Realpolitiker Bütikofer für den Einsatz deutscher Aufklärungs-Tornados im Rahmen der Internationalen Stabilisierungstruppe für Afghanistan (Isaf) warb, lehnte die Parteilinke Roth dies entschieden ab. Einig waren sich die beiden aber darin, dass der Antiterrorkampf „Operation Enduring Freedom“ (OEF) beendet werden sollte. Auch die Fraktionschefs Renate Künast und Fritz Kuhn hatten für die Tornados geworben. Die Gegensätze versuchten die Grünen-Politiker in einem Formelkompromiss zu versöhnen. Doch dem Appell der beiden Partei- und Fraktionschefs, auf dem Sonderparteitag einen Antrag zu verabschieden, der den Bundestagsabgeordneten völlig freie Hand gelassen hätte, verweigerten sich die Delegierten.

Dagegen verlangt der Parteitag nun von seinen Abgeordneten, weder für die Tornados noch für den Isaf-Einsatz zu stimmen. Die Mehrheit der Delegierten betrachtete ungeachtet vieler Beschwörungen die Aufklärungsflüge als Teil jener amerikanischen Kriegführung in Afghanistan, die für zivile Opfer verantwortlich ist. Deutschland trage eine „Mitverantwortung, wenn aufgrund der Aufklärungsergebnisse auch Bombeneinsätze geflogen werden“, heißt es in dem Beschluss. Die Bundesregierung hatte beide Abstimmungen zusammengelegt und damit ein Dilemma für die Grünen heraufbeschworen. Eine vom Parteitag auch bestätigte Mehrheit der Grünen befürwortet eine Verlängerung der Isaf-Bundeswehrmission, die im Norden Afghanistans den Wiederaufbau sichert. Damit war die Frage aufgeworfen, wie sich Grüne, die Isaf stützen und die Tornados ablehnen, bei der kombinierten Abstimmung im Bundestag verhalten sollten.

Verantwortlich dafür, dass der Parteitag nun ein klares Nein empfiehlt, ist vor allem Robert Zion. Das Mitglied des Kreisverbands Gelsenkirchen, Philosoph und Sozialpädagoge, Jahrgang 1966, gehörte zu den Initiatoren des Sonderparteitags, den die Berliner Parteiführung ursprünglich vermeiden wollte. Nicht nur mit seinem Pochen auf das Mitspracherecht der Basis in einer für das Grünen-Selbstverständnis entscheidenden Frage traf Zion den Nerv der Delegierten. Auch mit seiner in eher nachdenklichem Ton und Gestus gehaltenen Rede, in der er gegen die Tornados und für eine klare Vorgabe des Parteitags warb, erntete der Kämpfer gegen das Parteiestablishment heftigen Applaus. Gegen die faktische Abstimmungsfreigabe der Parteiführung führte Zion auch das Argument ins Feld: „Welche Bundesregierung würde sich von der Opposition unter Druck gesetzt fühlen, wenn die Grünen für ihre Politik stimmen würden?“

Die Partei- und Fraktionschefs dagegen konnten sich nur in einem Punkt bestätigt sehen: Einen militärischen Abzug aus Afghanistan, wie es ein anderer Initiator des Sonderparteitags verlangte, lehnten die Delegierten ab. Doch die Abstimmung war so eindeutig, dass klar wurde, dass die Grünen gar nicht vor der Gefahr standen, ihre als Regierungspartei 2001 übernommene Verantwortung für Afghanistan ganz aus der Hand zu geben.

Die Mahnungen Bütikofers und der beiden Fraktionschefs Künast und Kuhn, der eigenen außenpolitischen Verantwortung gerecht zu werden, sollten zwar auch die Gemeinsamkeiten betonen. Doch warben alle drei für den Tornado-Einsatz. „Wir machen uns nicht vom Acker, wenn es schwierig wird, und wir nutzen die Afghanistan-Debatte auch nicht für Unzufriedenheiten an anderer Stelle“, sagte Künast. Es gebe keine Belege für den Vorwurf, wonach Tornados Fotos an die Antiterroperation „Operation Enduring Freedom“ weitergäben. Kuhn erklärte, die Haltung der Grünen sei „entscheidend für die Richtung, die in der Bundesrepublik Deutschland Hegemonie bekommt“. Da freilich kannte der Fraktionschef das Abstimmungergebnis noch nicht.

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