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Andrea Nahles bläst zum Angriff - auf die Widersprüche der eigenen Partei. Das kommt nicht bei allen Genossen gut an.

© Wolfgang Kumm/ dpa

Von Flüchtlinge bis Russland: Die SPD muss ihre Widersprüche endlich klären

Als demokratisch vorbildlich preist die SPD ihre Debattenkultur. Dabei schleichen viele Sozialdemokraten um heikle Themen wie die Katze um den heißen Brei. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hans Monath

Die Nöte der SPD mit schwierigen Themen kann man gut am Umgang der Partei mit dem Familiennachzug studieren. „Bei mir im Ortsverein schlagen die Leute die Hände über dem Kopf zusammen, keiner will das“, klagte ein Kabinettsmitglied, als der Parteitag im Januar mit breiter Mehrheit den Familiennachzug zu einem der wichtigsten Ziele der SPD für die Sondierungsverhandlungen mit der Union erhob

Manche in der Führung ahnten da schon, was los war. Denn ein Teil der SPD-Anhänger lehnt den Nachzug ab. Andere ärgerten sich, dass die SPD mit so viel Energie für eine kleine Gruppe stritt und nicht für sie. Prompt folgten auch Proteste. Doch auf dem Parteitag stoppte niemand den Beschluss.

Ihre schmerzhaften, auch quälenden Auseinandersetzungen vor dem Gang in die große Koalition preist die SPD-Spitze gern als ein Musterbeispiel demokratischer Debatte. Nur waren die längst nicht so vorbildlich, wie manche behaupten. In Wirklichkeit schleichen viele Sozialdemokraten bei heiklen Themen wie die Katze um den heißen Brei, werden gewichtige Argumente aus der Angst vor der Hypermoral der sozialdemokratischen Gremienkultur öffentlich gar nicht mehr ausgesprochen. Wo mehr als drei Genossen zusammenkommen, will keiner der Böse sein, der dem guten Willen durch Hinweis auf die Wirklichkeit Gewalt antut.

Es ist eine Leistung der neuen Parteivorsitzenden Andrea Nahles, dass sie diese Schwäche erkannt und sich vorgenommen hat, widersprüchliche Positionen ihrer Partei zu klären, die die Sozialdemokraten in den letzten Jahren unkenntlich oder unglaubwürdig gemacht haben. Das dürfte eine undankbare Aufgabe werden. Aber es wird Zeit, dass jemand sie anpackt.

"Nicht alle aufnehmen"? Nicht hilfreich, findet Kühnert

In der Innen- und Flüchtlingspolitik treibt Nahles die Debatte selbst voran – und forderte eine härtere Gangart, auch in der Migrationspolitik. Über ihr Bekenntnis zum Schutz von bedrohten Flüchtlingen soll die SPD ihre Funktion als Schutzmacht der Mehrheitsgesellschaft und vor allem als die der kleinen Leute nicht vergessen. Nahles dürfte geahnt haben, wie wenige Genossen sie so begeistert.

"Wir können nicht alle aufnehmen", erklärte die Parteichefin am Wochenende. Prompt rügte Juso-Chef Kevin Kühnert, der Satz sei nicht hilfreich beim Kampf gegen die AfD. Wahrscheinlich muss man wirklich ein Juso sein, um auf die Idee zu kommen, einen wahren Satz dürfe man nicht mehr aussprechen, weil die AfD angeblich Vorteile daraus ziehen kann.

Auch der neue Außenminister Heiko Maas stört mit seinen klaren Urteilen über Russland das Selbstverständnis seiner Partei.

Verrat an der Ostpolitik Brandts werfen ihm manche vor. Dabei sind die Partner in Moskau heute anders als die in der Sowjetunion weder berechenbar noch verlässlich. Und in der zweiten Phase der Ostpolitik opferten SPD-Regierungspolitiker die Menschenrechte der Stabilität. Ist sie dennoch das große Vorbild? Darüber sollte die SPD streiten, statt den Dissens mit Maas in Formelkompromissen zu entsorgen.

Beide, Nahles und Maas, stoßen auf Widerstand. So verunsichert sind viele Genossen, dass sie lieber Traditionsbestände der SPD verteidigen als deren Existenz. Aber genau um die geht es jetzt.

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