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Politik: Von heftigem Würgen wird abgeraten

Der 31.Oktober eignet sich gut, um unsere jüngeren Leser über ein paar historische Missverständnisse aufzuklären: Es handelt sich nicht um den Brandenburger Tag des Ku’damm-Shoppings.

Der 31.Oktober eignet sich gut, um unsere jüngeren Leser über ein paar historische Missverständnisse aufzuklären: Es handelt sich nicht um den Brandenburger Tag des Ku’damm-Shoppings. Und die Protestanten wollen heute auch nicht daran erinnern, dass Martin Luther seinerzeit 95 Kürbisse an die Tür der Wittenberger Schlosskirche genagelt hat. Es waren vielmehr 95 Thesen.

Thesen sind kämpferische Behauptungen, deren Sprengkraft in diesem Fall seit 1517 offenbar doch nachgelassen hat. Anders ist kaum zu erklären, dass der Halloween mit seinem Gespensterhumbug, geistig arm, aber sexy, den Reformationstag an den Rand der Wahrnehmbarkeit gedrückt hat. Es wäre jetzt sicher zu spät, Martin Luther Ratschläge in Sachen Eigenwerbung zu erteilen; aber ein wenig mehr Spektakel mit Untoten, Gespenstern und reichlich Pyrotechnik hätte seinen Gedanken in der dauererregten Mediengesellschaft mehr Resonanz gesichert als die blasse Tintenfassattacke auf den Teufel. Der taugt in der Halloween-Geisterbahn ohnehin nur noch als Aushilfsmonster.

Zu spät, wie gesagt. Es bleibt eigentlich nur, ein paar Ratschläge zu geben für den richtigen Umgang mit übertreibenden Scherzbolden. Es gilt, so seltsam das auch angesichts eines Horrortermins klingen mag, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der Vizepräsident des Deutschen Anwaltsvereins warnt bereits, es sei keineswegs zulässig, jemanden, der eine Autoantenne abgeknickt hat, bis zur Bewusstlosigkeit zu würgen. Wir ergänzen: Es ist ebenso illegal, dies mit fremden Kindern zu tun, nur weil sie zum zehnten Mal an der Tür stehen und um Bonbons betteln. Notwehr ja, Notwehrexzess nein.

Der bedenklichste Aspekt des Halloween liegt vermutlich in der massenhaften, durch nichts zu rechtfertigenden Störung der Kürbisruhe. Deutschland kam einst sehr gut ohne die dicken Dinger aus; jetzt werden sie überall ausgehöhlt und zurechtgeschnitzt, überall brodeln fade Suppen, pampige Eintöpfe und verzuckerte Marmeladen, die uns auch Pfingsten noch an die bösen keltischen Geister und ihre mutwillige Heraufbeschwörung erinnern.

Sollte das die wahre Strafe für den nachlässigen Umgang unserer Generation mit dem Reformationstag sein? Wenn ja, wäre es Zeit für ein paar neue Thesen gegen den Kürbishandel aus nichtigem Anlass. Es müssen ja nicht gleich 95 sein.

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