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Politik: Von Hermann Rudolph

Vergangenheit kann man sich nicht raussuchen, man hat sie. Die Frage ist nur, wie man mit ihr umgeht.

Vergangenheit kann man sich nicht raussuchen, man hat sie. Die Frage ist nur, wie man mit ihr umgeht. Manchmal holt sie einen ein. So ergeht es im Moment RotGrün, das seine Regierung doch als Vollzug eines historischen Fortschreitens verstand, bei dem die Generation der 68er ihre alten Konflikte mit der Bundesrepublik in deren reformerische Erneuerung verwandeln wollte. Nun sieht sich der Mann, der wie kein anderer - einst Turnschuh, jetzt Drei-Teiler - diese Seite der Koalition verkörpert, mit einem Aufstand der eigenen Untergebenen konfrontiert, wie es ihn so noch nicht gegeben hat.

Man kann sich schon fragen, was Fischer geritten hat, sich auf einem Nebenschauplatz eine so brisante Affaire einzuhandeln. Schließlich hat er, wie bekannt, auch sonst noch einiges am Hals. Ein Anflug des alten Rigorismus? Bürokratische Fahrlässigkeit? Die bekannte hochfahrende Herr-im-Hause-Attitüde? Natürlich sind NSDAP-Mitgliedschaft und das Frankfurter Putzkommando nicht zu vergleichen, aber wer Fischers Biographie hat, sitzt, wenn es um frühe Sündenfälle geht, im Glashaus.

Mit der Überzeugung, dass sich das Auswärtige Amt den personellen Kontinuitäten zwischen Drittem Reich und Bundesrepublik stellen müsse, hat Fischer seine Entscheidung begründet, verstorbenen Mitarbeitern die bisher übliche amtsinterne Respekts-Bezeugung zu verweigern, wenn sie NSDAP-Mitglied waren. Aber besteht dieses Sich-Stellen nur darin, braune Flecken auf den Diplomaten-Hemdbrüsten zu ahnden? Gehört zu dieser Haltung nicht auch, dass da Leute am Wandel der Bundesrepublik zu einem friedlichen, in der Welt geschätzten Staatswesen mitgearbeitet haben - auch wenn sie in ihrer Jugend „dabei“ waren, ja, gerade dann?

Begründet es nicht überhaupt den historischen Rang der Bundesrepublik, dass sie den Raum für den Wandel der Deutschen abgab - und zwar, alles in allem genommen, zum Guten? Das Verhältnis zur Vergangenheit gehört dazu. Aber diejenigen, die nur auf Vergangenheitsbewältigung gesetzt haben, „kommen nicht vom Fleck“, hat Ralf Dahrendorf eben im Rückblick auf die Geschichte eingeräumt - notabene: kein jugendlicher NS-Mitläufer, sondern Mitglied einer jugendlichen Widerstandsgruppe. Heute gesteht er Adenauer zu, Recht gehabt zu haben, wenn er ehemalige Nazis in den Aufbau des neuen Staates mitnahm.

Gut, beim Krach im Hause Fischer spielt vieles mit. Der anfänglichen freudigen Verwunderung darüber, wie sich der Minister gab – nicht zuletzt: welche Bedeutung er dem Amt gab –, ist längst in Enttäuschung über seine arrogante Führung umgeschlagen. Doch zur Abrechnung mit Fischer taugt das Thema nicht. Auch weil sich das, mit Verlaub, für das Amt nicht schickt, das sich gern Auswärtiger Dienst nennt, weil es seine Arbeit mit Stolz als einen besonderen Dienst am Gemeinwesen begreift. Aber vielleicht ist da ein Schuss zu viel Basis-Demokratisierung auch in dieses Amt geraten.

Rot-Grün hat sich gerne zugute gehalten, den Konservativen in Bezug auf ein aufgeklärtes Verhältnis zur deutschen Vergangenheit voraus zu sein. Aber Selbstzufriedenheit ersetzt nicht Einsicht. Unserer wahrhaftig gebrochenen Vergangenheit kann nur eine differenzierte Auseinandersetzung gerecht werden. Alles andere wäre ein ahistorischer Umgang mit der Geschichte.

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