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Politik: Von Klinsmann lernen

Von Harald Martenstein

Nach der WM wird die Deutungsschlacht beginnen. Was bedeutet die WM politisch, welche Botschaft sendet sie uns, für wen oder für was steht Jürgen Klinsmann? Es gibt erste Wortmeldungen. Norbert Walter, Chefökonom der Deutschen Bank, schreibt in der „Welt“, dass man am Auftritt der deutschen Mannschaft das „enorme Potenzial“ dieses Landes erkennen könne, ein Potenzial, das aus Sicht der Deutschen Bank bisher nicht ausgeschöpft wird.

Was können wir von Klinsmann lernen? Norbert Walter wird da sehr konkret. Zusammenfassung: „Vom Vorschüler bis zum Greis muss jeder Bereitschaft zeigen, sich zu ändern. Wir brauchen Vorschulen. Wir brauchen Studiengebühren. Wir arbeiten nicht lange genug. Wenn wir bis 2010 jedes Jahr eine Wochenstunde mehr arbeiten …“

Die Deutsche Bank ist bekannt dafür, dass sie auch bei allerbester Gewinnlage massenhaft Leute entlässt, in Deutschland. Ihr Fleiß hat den Mitarbeitern der Deutschen Bank wenig genützt. Ja, sicher, Klinsmann achtet auf Fitness. Aber auch früher konnten deutsche Mannschaften rennen und ackern. Der Unterschied zwischen damals und heute besteht darin, dass die deutsche Mannschaft neuerdings begeisternd spielt und auch dann geachtet wird, wenn sie einmal verliert. Die Ideologie der eiskalten Gewinnmaximierung ist weg. Trotzdem gewinnen sie oft. Klinsmann hält auch solchen Mitarbeitern die Treue, die eine Zeit lang schwächere Leistungen zeigen, er hat Arne Friedrich und Robert Huth und vielen anderen gezeigt, dass er an sie glaubt. Er entlässt nicht so schnell. Die Deutsche Bank sollte von Klinsmann lernen, nicht umgekehrt.

Was ich an den Deutschlandfahnen schön finde, ist die Tatsache, dass es sich dabei nicht um ein Markenzeichen handelt. Ich fände es tausendmal beunruhigender und tatsächlich beschämend, wenn die Leute in den Stadien irgendwann damit anfingen, Nike- oder Adidasfahnen zu schwenken. Deutschland ist nichts, was man kaufen kann. Deutsch zu sein ist nichts, was man sich aus Imagegründen aussucht. Deswegen denke ich, wenn ich die fahnenschwenkenden Leute sehe, dass in ihnen, im besten Fall, ein Funke Idealismus glimmt, so etwas wie Treue, wie Hingabe, so etwas wie Beständigkeit. Dies alles sind Tugenden, mit denen der Kapitalismus nicht viel am Hut hat, die aber zu einem erfreulichen Leben dazugehören. Im Kapitalismus kommt es nur darauf an, zu siegen und stark zu sein, aber die Leute feiern Trinidad und nicht die Ukraine. Sie freuen sich über den deutschen Fußball und nicht über die Deutsche Bank.

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