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Politik: Von Staubfahnen keine Spur

BONN .Die Nato ist nicht zufrieden mit dem, was sie sieht - genauer: was sie nicht sieht.

Von Robert Birnbaum

BONN .Die Nato ist nicht zufrieden mit dem, was sie sieht - genauer: was sie nicht sieht.Von dem Teilabzug der jugoslawischen Armee aus dem Kosovo, den das Oberkommando angekündigt hat, gebe es bisher keine Spur.Das scheinbare Einlenken in Belgrad wird denn auch am Dienstag als "Trick" (Außenminister Joschka Fischer) und "Propagandamanöver" (Hardthöhen-Staatssekretär Walther Stützle) eingestuft.Man kenne das von Slobodan Milosevic, heißt es in Bonner Regierungskreisen: Wie viele Waffenstillstände, Rückzüge, Feuerpausen sind in Bosnien heilig versprochen und nie eingehalten worden! Verteidigungsminister Rudolf Scharping hat sogar nachzählen lassen: 83 UNO-Resolutionen und 28 Waffenstillstände habe der jugoslawische Präsident bisher gebrochen.Auch im Kosovo-Konflikt hatte Milosevic noch Anfang April eine einseitige Feuerpause während der orthodoxen Osterfeiertage angekündigt - gehalten, berichten Militärfachleute, hätten seine Leute im Kosovo sie nicht.

Nato-Sprecher Jamie Shea bestand denn auch darauf, die Nato-Luftaufklärung müsse die Staubfahnen hinter den abziehenden Panzern erkennen können, bevor das Bündnis an einen Rückzug glaube."Sie müssen das Kosovo in ihren Rückspiegeln sehen", forderte der Sprecher.Gut 300 Panzerfahrzeuge hat Jugoslawien im Kosovo stehen, gut 40 000 Mann umfassen nach Erkenntnissen der Nato die Einheiten von Armee, Polizei und Sonderpolizei; wie viele irreguläre Milizionäre sich zusätzlich in der Region herumtreiben, weiß niemand im Westen genau.Ein wirklicher Rückzug, sagen Militärs, würde der Nato sofort auffallen."Da müßten Kolonnen nach Osten und Norden rollen", sagt ein Fachmann."Das sehen Sie sogar vom Bomber aus 5000 Metern Höhe."

Nicht ganz glauben mögen die Militärs in Brüssel auch die Begründung des Belgrader Oberkommandos für den angeblichen Rückzug: Die Aktionen gegen die UCK seien beendet.Daß die kosovo-albanische Untergrundarmee besiegt sei, hatten staatliche Stellen in Belgrad im April schon einmal verlautbart.Die heutige Situation ist schwer durchschaubar.Nato-Sprecher Shea berichtete am Dienstag von weiteren Kämpfen in den Gebieten, in denen die UCK operiert.Die "Washington Post" meldete indessen, die UCK sei so stark geschwächt, daß Belgrad ein Teilrückzug leicht falle - zumal die verbleibenden Truppen so stationiert wären, daß sie selbst einen Bodenkrieg gegen die Nato durchstehen könnten.

Die kühle Reaktion des Westens auf die Belgrader Ankündigung eines Truppenrückzugs hängt aber auch damit zusammen, daß sie politisch weit hinter den Kernforderungen zurückbleibt.Von einem Ende des Mordens und Vertreibens ist nicht die Rede, von einer Rückkehr der Vertriebenen kein Wort, auch nicht von einer Friedenstruppe mit Nato-Kern, wie sie Kanzler Gerhard Schröder nach einem Treffen in Bonn mit dem montenegrinischen Präsidenten Milo Djukanovic noch einmal verlangte.Das Angebot des Oberkommandos lautet im Klartext: Wir akzeptieren eine "UN-Mission" im Kosovo, aber unsere Armee und Polizei bleiben in "Friedensstärke" im Land und für die Sicherheit zuständig.

"Taktische Finessen" nennt das Außenminister Fischer und warnt vor einem "faulen Kompromiß" mit Milosevic.Der Appell galt wohl weniger den Partnern als den eigenen Reihen: Würde die jugoslawische Armee tatsächlich demonstrativ ganze Einheiten abziehen, könnte Fischer beim Grünen-Parteitag in Bielefeld in zusätzliche Argumentationsnöte geraten.Und Kanzler Schröder hätte es in Peking noch schwerer als ohnehin, der chinesischen Führung das westliche Vorgehen verständlich zu machen.Schröder übrigens ist auch unzufrieden - mit dem, was er gehört, genauer gesagt: nicht gehört hat.Die Erklärung, die ihm Nato-Generalsekretär Javier Solana am Montag für den fatalen Fehlschuß auf die chinesische Botschaft gegeben hat, reichte dem Kanzler nicht.Solana sagte eine förmliche Untersuchung zu - was nur einer absehbaren Forderung Chinas zuvorkommt.

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