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Politik: Von Stendal nach Jyväskylä

In Finnland erfährt Sachsen-Anhalt, wie dünne Besiedlung funktioniert

Von Matthias Schlegel

Menschen ziehen nur dort hin, wo Wachstumskerne entstehen. Diese Erkenntnis hat Christiane Dienel aus Finnland mitgebracht. Die Wissenschaftlerin der Hochschule Magdeburg-Stendal suchte in der Einsamkeit Mittelfinnlands nach Strategien für das Problem der dünnen Besiedlung. Ihr Hochschul-Team arbeitet an einer Analyse im Auftrag der Landesregierung Sachsen-Anhalts, in der nicht nur das Ausmaß der Abwanderung und geeignete Gegenstrategien untersucht werden, sondern auch Erfahrungen darüber, wie es sich in der Einöde gut leben lässt.

„Wir haben uns mit Sachsen-Anhalt vergleichbare Regionen ausgesucht“, sagt die Professorin. Also das Gebiet um Jyväskylä, die Hauptstadt Mittelfinnlands mit ähnlicher Infrastruktur und starker Abwanderung in größere Städte. Dort gilt es heute als Illusion, großflächig unterentwickelte Regionen wiederbeleben zu können. Deshalb würden Wachstumszentren geschaffen – mit Hochschulen als Kristallisationspunkte. Gezielte Universitätsansiedlungen hätten Jyväskylä oder dem nordfinnischen Oulu einen Boom beschert. Denn den Hochschulen folge die Industrie auf dem Fuß. Entsprechend hält Dienel es für einen großen politischen Fehler, die Ausgaben für Hochschulen zu beschneiden.

Gravierende Unterschiede hat die Wissenschaftlerin auch in der Schulpolitik ausgemacht. Zwergschulen mit 12 bis 15 Schülern in einer einzigen Klasse seien in dünn besiedelten Regionen die Regel, Schulwege von 30 Kilometern aber gälten als inakzeptabel. Der Ruf dieser Schulen sei für manchen Städter Anreiz genug, zeitweilig aufs Land zu ziehen. Allerdings lassen sich die Finnen die Bildung im ländlichen Raum auch etwas kosten: Im Vergleich der OECD-Länder liegen ihre Ausgaben deutlich über dem Durchschnitt.

Damit jene, die der Provinz dennoch irgendwann den Rücken kehren, mit einem Fuß dableiben, haben sich die Finnen noch etwas einfallen lassen: Die Kommunen unterstützen Einheimische beim Bau und Erwerb von Ferienhäusern und stärken so bei den Abwanderern eine „Rückbindung“ an die Heimat. Christiane Dienel spricht von einer regelrechten „Ferienhausökonomie“, die in der Region Jyväskylä entwickelt worden sei.

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