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Politik: Von Versöhnung keine Spur

Seit Anfang der Neunzigerjahre bekämpfen die Islamisten in Algerien die Regierung

Die Szene könnte aus dem Irak stammen: Auf der Straße liegen verstümmelte Leichen, Verletzte wimmern, zwischen den brennenden Autowracks liegen Splitter und Trümmer. Die Sirenen dutzender Ambulanzen heulen. Am schwärzesten Tag in der algerischen Hauptstadt Algier seit Jahren sind bei Bombenanschlägen mindestens zwei Dutzend Menschen gestorben und viele, viele mehr verletzt worden.

Über dem Regierungspalast im Zentrum Algiers steht am Mittwochnachmittag eine schwarze Rauchwolke. Ein riesiges Loch klafft in der Fassade des sechsstöckigen Gebäudes, in dem Ministerpräsident Abdelaziz Belkhadem sein Büro hat. Der Regierungschef bleibt bei dem schwersten Bombenanschlag, den die Hauptstadt seit Jahren erlebte, unverletzt. „Das war ein Selbstmordanschlag“, berichten Augenzeugen. „Der Kamikazefahrer starb in seinem Auto.“ Demnach hatte der Terrorist gegen 10 Uhr 45 Ortszeit die Polizeisperre vor dem Amtssitz durchbrochen und auf dem Parkplatz seine Sprengladung gezündet. Wenig später explodierte mindestens eine weitere Bomben vor einer Polizeistation nahe dem internationalen Flughafen.

„Ein krimineller und feiger Akt“, sagt Regierungschef Belkhadem, als er mit blassem Gesicht vor seinem getroffenen Amtssitz in die Mikrofone spricht. Leibwächter umringen dem Premier, dem offenbar einer der Sprengsätze galt. Die Anschläge, sagt Belkhadem, seien verübt worden, um die „nationale Versöhnung“ im Land zu boykottieren.

Mit „Versöhnung“ meint er jene Generalamnestie, die der starke Mann im Staat, Präsident Abdelaziz Bouteflika, den Extremisten anbot, und für die sich in einem Referendum im September 2005 ein Großteil der Bevölkerung ausgesprochen hat. Seit Anfang der 90er-Jahre bekämpfen Algeriens Islamisten den Staat. Eine gewalttätige Gotteskrieger-Bewegung, die dem westlich gesinnten Regime sowie dem Rest der „ungläubigen Welt“ den „heiligen Krieg“ angesagt hat. Von Versöhnung wollen sie nichts wissen.

Im Jahr 1992 hatte bei den ersten freien Wahlen das Militär den sicheren Wahlsieg der Islamischen Heilsfront verhindert, die für einen Gottesstaat eintrat. Der Urnengang wurde damals gewaltsam abgebrochen, viele Heilsfront-Anhänger wurden eingekerkert, tausende sind bis heute verschwunden. Seitdem ist die Demokratie wieder auf Eis gelegt.

Im Krieg zwischen Islamisten und Sicherheitskräften, der besonders heftig in den 90ern tobte, starben, wie Präsident Bouteflika zugab, mindestens 200 000 Menschen. Durch den harten Feldzug des Militärs, mit dem die Generäle den „Terrorismus ausrotten“ wollten, ging die Kampfeskraft der Fundamentalisten in den vergangenen Jahren zurück. Doch dem harten Kern der Islamisten, die sich neuerdings unter dem Namen „Al Qaida im Maghreb“ gruppieren, gelingen immer wieder spektakuläre Terroraktionen. Noch in guter Erinnerung ist die Entführung von 32 Touristen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz im Jahr 2003 in der algerischen Sahara, die auf das Konto der Extremisten ging, die damals noch unter dem Kürzel GSPC firmierten. Berlin soll schließlich ein Millionen-Lösegeld gezahlt haben, um die Geiseln frei zu bekommen.

Seit Oktober hat die Organisation mehrere schwere Attentate verübt. Im November töteten die Rebellen 15 algerische Soldaten in der Region Ain Defla und der Provinz Buira. Im Dezember starben bei Angriffen auf westliche Ölarbeiter zwei, bei Anschlägen östlich von Algier Mitte Februar sechs Menschen. Die Attentate vom Mittwoch sind der bisherige Höhepunkt einer grausamen Serie.

Ralph Schulze[Madrid]

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