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Sieg. Der Spitzenkandidat der "Allianz für Deutschland", Lothar de Maiziére, nach der Verkündung des Wahlergebnisses am 18. März 1990.

© Thomas Wattenberg/dpa

Vor 25 Jahren: Erste freie Wahlen in der DDR: Die Freiheit gewählt - oder die Banane?

Die ersten freien Wahlen am 18. März 1990 in der DDR fielen anders aus als von vielen prophezeit. Mit dem deutlichen Sieg der "Allianz für Deutschland" war der Weg zur deutschen Einheit frei - und das Ende der DDR besiegelt.

Von Matthias Schlegel

Es war eine aufgeheizte Atmosphäre im Foyer des Palastes der Republik. Dort, wo seit der Errichtung des "Hauses des Volkes" die DDR-Volkskammer getagt und - bis auf ganz wenige Ausnahmen - alle Gesetze der Regierung einstimmig abgenickt hatte, erwarteten hunderte Menschen das Ergebnis der ersten freien Wahlen zum DDR-Parlament. Es waren die Abendstunden des 18. März 1990.

Als das Ergebnis schließlich verkündet wurde, erhob sich Tumult im Schein der mehr als 10.000 Kugelleuchten in "Erichs Lampenladen": Niemand hatte dieses Resultat vorausgesehen, viele waren geschockt, andere jubelten, manchen standen Tränen in den Augen - aus ganz unterschiedlichen Gründen.

48 Prozent der Stimmen waren auf die "Allianz für Deutschland" entfallen, ein Bündnis aus Ost-CDU, Demokratischem Aufbruch (DA) und Deutscher Sozialer Union (DSU), das den Wählern den schnellstmöglichen Weg in die deutsche Einheit versprochen hatte. Die Ost-SPD, die im Vorfeld weithin als Wahlgewinner gehandelt worden war, kam nur auf enttäuschende 21,8 Prozent, die aus der SED hervorgegangene PDS auf 16,3 Prozent und der Bund Freier Demokraten auf 5,3 Prozent.

Die größte Überraschung aber war, dass diejenigen, die die politische Wende in der DDR eingeleitet und maßgeblich forciert hatten, als Wahlverlierer aus dem Rennen hervorgingen. Nur 2,9 Prozent entfielen auf Bündnis 90, nur zwei Prozent erhielt das Bündnis von Grüne Partei und Unabhängiger Frauenverband. 93,4 Prozent der Wahlberechtigten waren zu den Urnen gegangen - eine bis heute nie mehr erreichte Wahlbeteiligung im Osten.

Ein blasser und völlig überfordert scheinender Lothar de Maizière, der Spitzenkandidat der "Allianz für Deutschland", wurde im Gedränge einer vielköpfigen Menschentraube von Mikrofon zu Mikrofon geschoben. An einer Kamera schlug er sich das Schienbein auf, die Wunde würde er erst nach dieser turbulenten Wahlnacht so richtig zur Kenntnis nehmen können.

Otto Schily hält die Banane in die Kameras

Die Ostdeutschen hatten sich für die deutsche Einheit und für die D-Mark entschieden. Der SPD-Politiker Otto Schily interpretierte das Votum am Wahlabend auf seine Weise, indem er immer wieder eine Banane in die Kameras hielt.

De Maizière hatte im Wahlkampf ganz auf die deutsche Einheit gesetzt. Und er hatte einen Coup gelandet, der ihn letztlich zum Sieg führte: Selbst als langjähriges, aber unauffälliges Mitglied der SED-treuen Blockpartei CDU hervorgegangen, hatte er schnell erkannt, dass die durch ihre Vergangenheit belastete Ost-CDU die Unterstützung der Bundes-CDU brauchte, um für jene, die auf die rasche Wiedervereinigung setzten, wählbar zu sein.

Gegen eine Wahlhilfe der Bundes-CDU für die "Blockflöten" aus dem Osten hatte sich vor allem der damalige CDU-Generalsekretär Volker Rühe vehement gewehrt. Aber mit Hilfe einflussreicher CDU-Kreise in Nordrhein-Westfalen handelte de Maizière in Geheimdiplomatie einen Deal aus, dem schließlich auch der CDU-Vorsitzende und Bundeskanzler Helmut Kohl zustimmte: Die Ost-CDU würde ein Wahlbündnis mit den unbelasteten Neugründungen DSU - ein ostdeutscher Quasi-Ableger der CSU - und Demokratischer Aufbruch eingehen.

Flugs wurde die Allianz geschmiedet, und deren Wahlsieg wurde letztlich auch nicht dadurch gefährdet, dass der Vorsitzende des Demokratischen Aufbruchs, Wolfgang Schnur, wenige Tage vor der Volkskammerwahl als Stasi-Spitzel enttarnt wurde. Schnur, den viele schon als künftigen Ministerpräsidenten gesehen hatten, verschwand in der Versenkung, auf den DA entfielen bei der Wahl nur 0,9 Prozent der Stimmen.

Aber der Demokratische Aufbruch war an der Regierung beteiligt, und dessen Pressesprecherin auch, sie wurde stellvertretende Regierungssprecherin von de Maizière. Die meisten hörten in diesem Zusammenhang den Namen zum ersten Mal: Angela Merkel.

De Maiziére schmiedete eine Koalition mit der SPD und dem Bund Freier Demokraten und wurde am 12. April 1990 in der Volkskammer zum Ministerpräsidenten gewählt.

Die Volkskammer trat an, um sich selbst abzuschaffen

Es war ein kurioser Start dieses Parlaments und dieser Regierung: Sie traten an, um sich selbst abzuschaffen. Doch in dem halben Jahr ihrer Existenz waren Exekutive und Legislative bei weitem nicht nur damit beschäftigt, den Beitritt zur Bundesrepublik vorzubereiten. Das Land war im Umbruch, Strukturen zerbrachen, Engpässe entstanden, Provisorien allüberall, Anarchie drohte. So hatten Regierung und Parlament alle Hände voll zu tun, Vergangenheit aufzuarbeiten, Gegenwart zu bewältigen und Zukunft vorzubereiten.

Über viele, die da zunächst noch in der Volkskammer saßen, ist die Zeit hinweggegangen. Ibrahim Böhme etwa ist nur sechs Tage lang Fraktionsvorsitzender der SPD, dann muss er unter dem Druck der Vorwürfe langjähriger Tätigkeit als inoffizieller Mitarbeiter der Stasi zurücktreten. Auch für andere Abgeordnete ist die politische Laufbahn nach Stasivorwürfen beendet.

Den Alterspräsidenten Lothar Piche, der die erste Sitzung eröffnete, kennt heute niemand mehr. Er trat nach Bekanntwerden einer privaten Affäre Ende des Jahres 1990 aus der DSU aus. Der ebenso eloquente wie sachkundige CDU-Fraktionsvorsitzende Günther Krause wird viel später als Verkehrsminister in der bundesdeutschen Regierung über eine Putzfrauenaffäre und Selbstüberschätzung stolpern. Zahlreiche ernüchterte, von den Ereignissen überrollte ehemalige Bürgerrechtler steigen freiwillig aus dem Politikbetrieb aus.

Viele setzen die politische Karriere in ihrem Bundesland fort

Andere haben die wilden Zeiten überlebt, auch dadurch, dass sie sich politisch neu orientierten. Eine Gruppe von sieben Bürgerrechtlern, unter ihnen die Bündnisgrünen Günter Nooke und Vera Lengsfeld, wechselte Ende 1996 in die CDU. Auch im geeinten Deutschland machen einige aus der letzten DDR-Volkskammer eine große politische Karriere. Marianne Birthler und Joachim Gauck zählen dazu, Wolfgang Thierse, Matthias Platzeck, der im Juni 2014 verstorbene Reinhard Höppner und Harald Ringstorff von der SPD, Stanislaw Tillich von der CDU, Gregor Gysi, damals Fraktionschef der PDS, heute Fraktionschef der Linken, und der langjährige PDS-Chef Lothar Bisky, der im August 2013 starb.

Andere bringen es bis zum Minister in ihren jeweiligen Bundesländern, wie der langjährige brandenburgische Innenminister Alwin Ziel (SPD), der heutige Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern Lorenz Caffier (CDU) oder der derzeitige Schweriner Landwirtschaftsminister Till Backhaus (SPD). Etliche damalige Volkskammerabgeordnete sitzen noch heute in Landesparlamenten. Fünf Führungspersönlichkeiten aus der "Allianz für Deutschland - Lothar de Maiziére, die Ärztin Sabine Bergmann-Pohl (CDU), die als letzte Volkskammerpräsidentin zugleich formal das Staatsoberhaupt der DDR war, Günther Krause, Rainer Ortleb, Fraktionschef der Liberalen in der Volkskammer, und Hans-Joachim Walther, Fraktionschef der DSU in der Volkskammer, erhielten nach der deutschen Einheit im Kabinett Kohl Posten als Minister für besondere Aufgaben.

An der Stelle, an der sich die letzte DDR-Volkskammer konstituierte, die später die Erhaltung und Nutzung der Stasiakten, die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion und schließlich den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik nach Artikel 23 des Grundgesetzes beschloss, steht der Palast der Republik längst nicht mehr. Heute wächst dort der Neubau des Stadtschlosses, jenes bei Bombenangriffen 1945 ausgebrannten und auf Veranlassung von Walter Ulbricht 1950 abgerissenen Bauwerks. Der Ort versinnbildlicht wie kaum ein anderer in Berlin Zerstörung und Aufbau, Verletzungen und Heilungen in der deutschen Geschichte.

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