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Merkel beim Parteitag 2012.

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Vor dem CDU-Parteitag: Wie steht Angela Merkel da?

Angela Merkel wird beim CDU-Parteitag in Essen wohl als Vorsitzende bestätigt. Doch sie ist nicht mehr unumstritten. Mit welchen Widerständen sie rechnen muss.

Von Robert Birnbaum

Kinderhände haben einen festen Platz im Arsenal der politischen Symbole. Wer als Politiker Patschhändchen schüttelt, kann der Zuneigung gerührter Mamis und Opas sicher sein. Dass der Händedruck auch zum Akt der Bekenntnis werden kann, hat Angela Merkel dieser Tage bei zwei CDU-Basistreffen erlebt. Erst soll sie einem kleinen Afghanen die Hand geben, dem vor Aufregung die Tränen kommen, als er sich bei der Kanzlerin für ihre Flüchtlingspolitik bedankt. Zwei Tage später will es der Vater einer Neunjährigen aus Köln wissen: „Wenn ein afghanisches Kind der Kanzlerin die Hand schütteln darf, darf dann meine Tochter auch?“

Klar durfte sie – schon weil Merkel die Falle sofort erkannte, die da auf sie lauerte. Die zwei Szenen illustrieren gut, welche Aufgabe auf sie wartet, wenn ihre CDU sich ab Dienstag in Essen zum Bundesparteitag trifft. Die Frau, die sich anschickt, ein viertes Mal ums Kanzleramt zu kämpfen, muss ihre zwiegespaltenen eigenen Truppen dazu bringen, für sie in den Kampf zu ziehen.

Banal wird das nicht. Einerseits haben ausweislich aller Umfragen praktisch alle CDU-Anhänger Merkels erneute Kanzlerkandidatur begrüßt. Die 62-Jährige ist zwar nicht mehr die Hoffnungsträgerin, die die Christdemokraten im Jahr 2000 ebenfalls in Essen zu der Vorsitzenden wählten, die die Partei aus Helmut Kohls Spendensumpf herausziehen sollte. Aber nach elf turbulenten Regierungsjahren ist ihr Renommee als Krisenmanagerin im Weltmaßstab weiter hoch – und ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin sowieso nicht in Sichtweite.

Die CDU geht gerne auf Nummer sicher; Merkel ist die vergleichsweise sicherste Nummer. Bei der Wiederwahl zur Parteivorsitzenden rechnen denn auch alle mit einem guten Ergebnis. Sowjetische 99 Prozent werden es sicher nicht; das wäre nach dem vergangenen Jahr zu viel Vernunft verlangt.

Andererseits – Merkels Antreten begrüßen und für sie dann offensiv und gegen harte Widerstände im Wahlkampf werben, sind zwei Paar Schuhe. Die CDU hat in den vergangenen acht Jahren nur noch „Wellness-Wahlkämpfe“ erlebt, wie das ein Mitglied der Parteiführung nennt. Die hat eine damals unumstrittene, selbst von politischen Gegnern bewunderte Anführerin praktisch im Alleingang bestritten. Diesmal müssen sich eine umstrittene Chefin und ihre Helfer mit Leuten auseinandersetzen, die der Kanzlerin unterstellen, mehr „Mutti“ für Flüchtlinge zu sein als für heimischen Nachwuchs.

Am 10. April 2000 wurde Angela Merkel in Essen erstmals an die Spitze der CDU gewählt.
Am 10. April 2000 wurde Angela Merkel in Essen erstmals an die Spitze der CDU gewählt.

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Wie kann Merkel gegen diese schwierige Stimmung angehen?

Die CDU-Chefin hat vor einem Jahr in Karlsruhe, als sehr viele Flüchtlinge ins Land kamen, ihren Parteitag mit der besten Rede ihrer Amtszeit auf ihre Seite gezogen. Merkel nahm die CDU damals in die historische Pflicht: Wir haben die Westbindung durchgesetzt, die soziale Marktwirtschaft geschaffen, die Einheit verwirklicht – wir schaffen auch das!

Den Motto-Satz verkneift sie sich bekanntlich vorerst. Aber in der Sache kann sie Vollzug melden. Die CDU hat damals in Karlsruhe beschlossen, den Zustrom der Flüchtlinge durch Verträge und Sicherung der EU-Außengrenzen „signifikant zu reduzieren“. Dass das passiert ist, leugnen härteste Kritiker nicht.

Ausgestanden ist der Grundkonflikt damit nicht, denn er hat weniger mit praktischer Politik zu tun als mit Symbolen. Am deutlichsten verweist darauf die Leerstelle in der Tagesordnung, an der am zweiten Tag traditionell das Grußwort des CSU-Chefs steht. Horst Seehofer kann sich die Reise ins Ruhrgebiet sparen, nachdem bei seinem eigenen Parteitag die CDU-Chefin unerwünscht war.

Das ist aus Sicht beider Parteien besser so. Seehofer will nicht von seinem Symbolwort „Obergrenze“ runter, Merkel will es nicht schlucken – einen Eiertanz auf offener Bühne können beide so wenig brauchen wie eine öffentliche Konfrontation. Die Wiederannäherung der CSU an die große Schwester ist auch so schon schwierig genug. Erst Ende Februar soll in München ein Burgfrieden besiegelt werden. Dass in Essen ein Antrag des Kreisverbands Ravensburg gute Chancen auf Zustimmung hat, der sich gegen Volksentscheide auf Bundesebene wendet, lässt Seehofers Fernbleiben doppelt geraten erscheinen. Der Antrag richtet sich frontal gegen die CSU, die solche Volksentscheide gerade in ihr Grundsatzprogramm geschrieben hat.

Muss Merkel denn auf der Bühne offenen Widerspruch fürchten?

Die CDU geht nicht nur gern auf Nummer sicher, sie schätzt auch an sich selber das Parteisoldatentum. Trotzdem wird schon irgendeiner aufs Podium treten und die Chefin für alles Übel inklusive AfD, Brexit und Donald Trump verantwortlich machen. Wer das Antragsbuch durchblättert, spürt auch in vielen Anträgen den Widerwillen gegen die vielen Fremden, der sich quer durch die Partei zieht.

Aber er entlädt sich nicht in massenweisen Forderungen, die der Chefin das Geschäft erschweren könnten. Der baden-württembergische Innenminister und Parteivize Thomas Strobl hat mit einem harten Abschiebe-Antrag, der wohl in den Leitantrag eingearbeitet wird, viel Wind aus konservativen Segeln genommen. Ansonsten überwiegt im Antragsbuch Symbolpolitik. Das „Verbot der Vollverschleierung“ fordern wahrscheinlich mehr CDU-Mitglieder, als Frauen unter Burka und Niqab in Deutschland leben.

Nur im Bezirksverband Nordwürttemberg scheint ein harter Kern von Merkel-Gegnern versammelt. Er fordert, die „vernichtenden Ergebnisse“ der Landtagswahlen im Frühjahr „ergebnisoffen“ aufzuarbeiten und „die nötigen Kurskorrekturen“ vorzunehmen. Die Antragskommission unter Leitung des Generalsekretärs empfiehlt Ablehnung. Für andere Anträge empfiehlt sie Ablehnung light: Mit der Forderung des Bezirks Südbaden etwa, jedweder „Gender-Politik“ den Geldhahn zuzudrehen, die einer „wissenschaftlichen Überprüfung“ nicht standhalte, sollen sich lieber erst mal die Fraktionen in Bund und Ländern befassen.

Sind anderswo Debatten zu erwarten?

Mit ernsten Auseinandersetzungen rechnet niemand. Die üblichen Profilierungsanträge der großen Verbände, Streitereien über Steuerreformen oder Mütterrenten sollen die vorweihnachtliche Harmonie diesmal nicht stören. Bei den Vorstandswahlen soll der Wahl-Sachse Thomas de Maizière den auch als Präsidiumsmitglied blass gebliebenen Sachsenchef Stanislaw Tillich ablösen. Die Berliner Ex-Integrationsbeauftragte Emine Demirbüken-Wegner räumt ihren Sitz für die neue Berliner CDU-Chefin und Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Für den Vorstand gibt es derzeit eine Bewerbung mehr als Plätze.

Bleibt die Frage, wo sich Druck entladen könnte. Heißer Kandidat sind Anträge unter anderem aus Berlin, gleichzeitige Mitgliedschaft in der CDU und der Erdogan-Partei AKP sowie etlichen anderen türkischen Verbänden zu verbieten. Die Parteispitze würde es lieber bei einer allgemein-wolkigen Unvereinbarkeitsklausel belassen. Eine Abwendung der Türkei von Europa sollte besser nicht von den Europäern ausgehen, finden Merkel und ihre Leute – und das keineswegs nur aus Sorge um den Flüchtlingspakt.

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