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Politik: Vor der Ampel rechts Von Robert Birnbaum

Es gibt in fast jedem Wahlkampf den Moment, in dem er sich von allem löst, was vorher fest und sicher schien, und zu schweben beginnt. Eine Woche vor dem Wahltag ist der Punkt auch diesmal erreicht.

Es gibt in fast jedem Wahlkampf den Moment, in dem er sich von allem löst, was vorher fest und sicher schien, und zu schweben beginnt. Eine Woche vor dem Wahltag ist der Punkt auch diesmal erreicht. Wochenlang schien alles klar zu sein. Jetzt erscheint – nicht alles, aber vieles möglich. Die FDP sieht sich bei ihrem Berliner Parteitag genötigt, sich des arglistig ihr angedichteten Verdachts der Wendigkeit in eine rotgrün-gelbe Ampelkoalition zu erwehren. Union und FDP sehen sich genötigt, eine große Koalition zu verdammen. Aus sicheren Siegern sind Unsichere geworden. Was ist da los?

Fangen wir an mit den dürren Fakten. Seit einer Woche zucken die Demoskopen ratlos die Schultern. Ihre lange fest gemauerten Umfragedaten sind in Bewegung. Die Union verliert, die SPD legt zu. Die Ausschläge sind so hoch, dass von Zufall keine Rede sein kann. Sie sind andererseits nicht konstant genug, um daraus einen Trend ableiten zu können. Klar, die einen reden trotzdem von Wende. Klar, die anderen erinnern zum eigenen Trost daran, dass in Nordrhein- Westfalen nach ähnlichem Umfrage- Schreck das Ergebnis trotzdem klar ausgefallen war. Beides ist Pfeifen im Walde. Was die Zahlen hergeben, ist der Satz: Der Ausgang ist offen.

Auslöser dieser Entwicklung ist ein Mann, dessen Name die FDP bei ihrem Parteitag nicht ein einziges Mal genannt hat, als könne Verschweigen ihn bannen. Wenn Deutschland am 18. September keine schwarz-gelbe Regierung bekommt, wird Paul Kirchhof daran seinen kräftigen Anteil haben. Lange, lange Wochen hindurch hat die SPD-Wahlkampftruppe nur in Gummiwände geschlagen. Edmund Stoiber hat die Wähler nicht geschreckt, Angela Merkel nicht, die Mehrwertsteuer nicht. Erst Merkels unbedachter Coup bescherte der SPD den bösen schwarzen Mann, mit dessen Schreckbild sich die müde, zweifelnde, zaudernde sozialdemokratische Wählerschaft mobilisieren ließ.

Plötzlich war es nicht nur der Kanzler, dessen Wahlkampf sich auf dem Niveau des Varietés bewegte – der Illusionist Gerhard Schröder steht mit leeren Händen auf der Bühne und versichert mit eisernem Lächeln, dass er demnächst einen Hut besorgen werde, aus dem er dann Kaninchen zaubern wolle. Nein, auch der Wahlkampf der Union, bis dahin konzentriert auf Arbeit, Arbeit, Arbeit, bekam etwas Irreales übergestülpt. Neben der ehrlichen Arbeiterin Merkel geistert seither ein Visionär über die Bühne. Dass SPD und Grüne den Mann und seine Privatprojekte vom Familienbild bis zur 25-Prozent-Steuer als Schreckgespenst nutzen, ist höchst unfair dem wirklichen Programm der Union gegenüber. Aber wirksam. Und durch nichts mehr zu ändern. Fehler im Wahlkampf kann man nicht ausbessern, nur verschlimmern.

Union und FDP können dem allem mit Aussicht auf Erfolg nur das entgegensetzen, womit sie bis vor kurzem ja recht erfolgreich um Vertrauen geworben haben: daran erinnern, dass der Kanzler nicht an widrigen Naturgewalten gescheitert ist, sondern an der eigenen Partei; darauf bestehen, dass das eigene, jedenfalls vergleichsweise aufrichtige Reformprogramm eher vom Bemühen zeugt, die Probleme des Landes zu lösen, als eine taktische Schlagwortkampagne ums soziale Gemüt. Die FDP hat ihrerseits getan, was sie tun konnte, und sich auf ihrem Parteitag klar auf Schwarz-Gelb festgelegt. Also gegen eine Ampel. Dass SPD und Grüne auch dieses Gespenst trotzdem eifrig weiter beschwören werden, können die Freidemokraten nicht verhindern. Sie können höchstens die Selbstironie aufbringen zu fragen, wieso Schröder und Fischer plötzlich Westerwelle mögen.

So bleibt der Ausgang offen. Als Wähler kann man das begrüßen, weil wir die Wahl haben und nicht den Eindruck, eine längst gefallene Entscheidung bloß notariell zu beglaubigen. Als Bürger kann man nur hoffen, dass wir nicht am Ende wieder einmal Sieger haben, die mit ihrem Sieg nichts anzufangen wissen. Und Wähler, die am Tag danach über sich selbst erschrecken, weil sie allzu sehr auf die Gespenster geachtet haben und etwas zu wenig auf die Wirklichkeit.

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