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Voller Einsatz kurz vor dem Wahltag: NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft

© Reuters/Thilo Schmuelgen

Vor der Wahl in NRW: Ein Kraftakt soll es richten für die SPD

Auf den letzten Metern vor der Landtagswahl zeigt NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft eine Energie, die ihr kaum jemand zugetraut hat. Aber ob das für Sonntag reicht?

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Hannelore Kraft aller Orten – am Ende eines langen Wahlkampfs gibt die Ministerpräsidentin von Nordrhein–Westfalen noch einmal alles. An diesem Donnerstag beginnt ihr Programm morgens im Awo-Cafe „Klatsch“ in Oberhausen, eineinhalb Stunden später will die SPD-Politikerin auf dem Marktplatz in Bottrop um Stimmen werben, danach am Ehrenamtsempfang in Lünen teilnehmen, um sich anschließend in Soest wieder in den Straßenwahlkampf stürzen.

Am Freitag tritt sie beim „Wahlkampfendspurt“ in Duisburg auf. Wenige Stunden vor Öffnung der Wahllokale besucht die Vize-Chefin der Bundes-SPD am Samstagnachmittag dann noch das „Familienfest“ in Düsseldorf. Das gibt noch einmal schöne Fotos von der Landesmutter, die sich kümmert. Und die weiterhin gebraucht wird.

Kraft weiß, es geht um alles – für sie in NRW und für Kanzlerkandidat Martin Schulz im Bund. Im Stammland der Sozialdemokratie ist die CDU in den Umfragen gefährlich nahegerückt – vereinzelt haben Demoskopen schon einen Vorsprung von CDU-Herausforderer Armin Laschet ermittelt. Dass es ihr gelingen könnte, mit den Grünen weiter zu regieren, scheint fast ausgeschlossen.

Aber es kann noch schlimmer kommen, befürchten die Genossen an Rhein und Ruhr. Würde die NRW-SPD von der Regierung vertrieben oder in eine Juniorpartnerschaft mit der CDU gezwungen werden, wäre das für die Sozialdemokraten im Jahr der Bundestagswahl ein „Albtraum“, wie ein erfahrener Bundestagsabgeordneter sagt. Kraft ginge dann als die SPD-Politikerin in die Parteigeschichte ein, die den Traum von einem SPD-Kanzler Martin Schulz früh zum Platzen gebracht hat.

Vielleicht zeigt die Amtsinhaberin auch deshalb in der Endphase des Ringens um die Macht im bevölkerungsreichsten Bundesland eine Energie, die ihr vor etlichen Monaten nur noch wenige zugetraut hatten. Die Sozialdemokratin in der Düsseldorfer Staatskanzlei wirkte lust- und ideenlos, als sei ihr das Interesse an ihrer Arbeit abhanden gekommen. Das hatte auch mit ihrem privaten Leben zu tun. Anfang vergangenen Jahres war sie gesundheitlich angeschlagen, die Krankheit ihrer Mutter belastete sie. In ihrer Mülheimer Familie pflegte Kraft die Mutter bis zu deren Tod.

Verheerendes Bild

Das öffentliche Bild aber war verheerend. „Des Kümmerns müde“, schrieb der „Spiegel“, „Die Kraftlose“ titelte „Bild“, „Sie will: nichts“, urteilte die „Zeit“. Kraft tat wenig, um dem Eindruck entgegenzutreten. Als sie im April 2016 in einer Pressekonferenz gefragt wurde, welche wichtigen Themen ihre rot-grüne Regierung bis zur Wahl noch umsetzen wolle, blätterte sie hektisch in ihren Unterlagen. „Ich finde das nicht. Es tut mir leid. Können wir Ihnen gerne nachliefern, was noch an großen Themen dabei ist. Aber es war noch einiges.“

Heute sagt Kraft: „Wir haben eine Menge geschafft, aber es gibt auch noch eine Menge zu tun.“ Das soll stolz und zupackend klingen. Das Problem dabei ist nur: Viele Bürger in NRW sind nicht der Ansicht, dass Kraft und ihre rot-grüne Regierung viel geschafft haben. Mehr als 60 Prozent erklärten kürzlich in einer Umfrage von Infratest Dimap, sie seien unzufrieden mit der Leistung der Landesregierung bei der Bekämpfung von Terror und Kriminalität, in der Schul- und Bildungspolitik und beim Kampf gegen Armut. 70 Prozent beklagten den schlechten Zustand von Straßen, Brücken und Schienen – im Land des Dauerstaus eine Steilvorlage für die Opposition.

Auch ihr großes Versprechen, wonach NRW „kein Kind zurücklassen“ werde, konnte Kraft nicht halten. Nach einer Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung hat 2014 fast jedes vierte Kind in NRW in einem einkommensarmen Haushalt gelebt. 2005 war es noch jedes fünfte. Laut Bertelsmann-Stiftung stieg die Zahl der Kinder, die von Sozialleistungen leben, zwischen 2011 und 2015 und liegt weit über dem Bundesdurchschnitt. Zwar sank die Arbeitslosigkeit insgesamt leicht, bleibt aber höher als fast in allen anderen westdeutschen Bundesländern. So ist es auch mit dem Wirtschaftswachstum: NRW hat aufgeholt und liegt dennoch unter dem Bundesdurchschnitt.

Es ist vor allem die durchwachsene Bilanz nach sieben Jahren im Amt, die Krafts Genossen im Bund um den Sieg in NRW zittern lässt. Kanzlerkandidat Schulz träfe im Fall einer Niederlage nach Meinung eines erfahrenen NRW-Bundestagsabgeordneten keine Schuld. „Das ist hausgemacht“, sagt er. Andere Genossen machen Kraft dafür verantwortlich, dass der Schulz-Effekt nachgelassen hat. Sie habe verhindert, dass sich der Kandidat in den vergangenen Wochen mit neuen Vorschlägen profilieren konnte. Kraft soll sich programmatische Vorstöße von Schulz vor der Wahl verbeten haben. „Sie wollte unbedingt Ruhe“, heißt es.

Seltsame Beziehung zur Bundes-SPD

Hannelore Kraft und die SPD im Bund – das ist ohnehin eine seltsame Beziehung. Kraft ist die mächtigste unter den sechs stellvertretenden Vorsitzenden, aber sie weiß mit dieser Macht wenig anzufangen. Meist hat sie nur das eigene Land oder den eigenen Landesverband im Blick. So war es fast folgerichtig, dass sie 2013 erklärte, sie wolle „nie, nie, nie“ in die Bundespolitik wechseln. SPD-Strategen waren schon damals entsetzt. Wer so agiere, schmälere selbst sein politisches Gewicht und seinen Einfluss in Berlin. Seither kursiert in der Partei ein hartes Urteil: Die Frau aus Mülheim an der Ruhr sei im Grunde unpolitisch.

Tatsache ist: Bei vielen Weichenstellungen der SPD im Bund lag Kraft anfangs daneben. Nach der Wahl 2013 wollte sie zuerst unbedingt eine Neuauflage der großen Koalition verhindern. Am Ende stimmte eine überwältigende Mehrheit der SPD-Basis in einer Urabstimmung für das Bündnis mit der Union. Auch die Ausrufung von Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten hatte sie ursprünglich nicht gewollt. Schon damals war Ruhe vor der NRW-Wahl für sie oberstes Gebot. Wäre es nach Kraft gegangen, hätte deshalb der damalige Parteichef Sigmar Gabriel die Kanzlerkandidatur übernommen.

Am Sonntag urteilen die Wähler über Kraft und ihr Verständnis von Politik. Die Ministerpräsidentin hat auf den letzten Metern ausgeschlossen, die Linkspartei in ein Regierungsbündnis zu holen. Es ist die letzte Karte, nun kann sie nur noch auf das Vertrauen in ihre Person hoffen: „Die Menschen sind vielleicht nicht mit allem einverstanden, aber sie merken, dass ich das mit Herzblut mache.“ Ob das reicht? Drei Tage sind es noch.

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