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Politik: Vor Gericht im alten Europa

Der Angeklagte schweigt – dafür redet der Richter im neuen Hamburger Terrorprozess umso mehr

Von Frank Jansen

Der schwarze Bart ist länger geworden. Mounir al Motassadeq erscheint zu seinem zweiten Prozess im Hamburger Oberlandesgericht nicht wie einer, der als Aussteiger aus der Islamistenszene wirken will. Der Marokkaner verweigert am Dienstag denn auch jede Aussage zum Vorwurf der Bundesanwaltschaft, er habe die Attentäter des 11. September 2001 unterstützt und damit Beihilfe zur Tötung von 3066 Menschen geleistet. Welche Wucht dieses Verfahren mit seiner verkorksten Vorgeschichte hat, demonstriert hingegen der 4. Strafsenat unter dem Vorsitz von Richter Ernst-Rainer Schudt. Er muss das Scheitern des 3. Senats im ersten Prozess ausgleichen. Schudt versucht es mit einem rhetorischem Überfall. Und stolpert.

In einer hektischen Erklärung ruft Schudt dem Angeklagten zu, „die Strafprozessordnung, Herr Mzoudi, schützt auch Sie!“ Das Gelächter im Saal ignoriert der Richter. Abdelghani Mzoudi war jener andere Angeklagte, den die Bundesanwaltschaft mit ähnlichen Vorwürfen angeklagt hatte – und den der 3. Strafsenat im Februar freisprach. Doch Schudt hämmert weiter, getrieben vom Bedürfnis, das Gericht als absolut unbefangen zu präsentieren. „Es handelt sich nicht um einen Terroristenprozess“, sagt der Richter und findet zum richtigen Angeklagten zurück. „Ob Herr Motassadeq ein Terrorist ist, wollen wir ja gerade erst klären.“ Dann folgt ein Hieb gegen die US-Regierung, „die Strafprozessordnung und unsere alteuropäische Rechtstradition setzen die Wegmarken für den Prozess, zahnlose Papiertiger sind sie nicht“.

Alteuropäisch – der amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hatte Deutschland und Frankreich als „old Europe“ geschmäht, weil sie den Irakfeldzug nicht mitmachten. Richter Schudt verwahrt sich also gleich zu Prozessbeginn gegen den Erwartungsdruck aus den USA. Die Regierung Bush war verärgert, als Mzoudi freikam und der Bundesgerichtshof im März die 15 Jahre Haft kassiert hatte, zu denen das Hamburger Gericht Motassadeq im Februar 2003 verurteilt hatte. Die US-Behörden haben aber offenbar verstanden, dass sie ihren Ärger mitverschuldet haben. Ein wichtiger Zeuge, der irgendwo in amerikanischem Gewahrsam steckende Jemenit Ramsi Binalshibh, durfte in Hamburg nicht aussagen. Auch Protokolle von Aussagen des mutmaßlichen Cheflogistikers der Gruppe um den Selbstmordpiloten Mohammed Atta blieben für das Gericht gesperrt. Doch kam nur Stunden vor Prozessbeginn in Hamburg ein Fax an, in dem die USA Zusammenfassungen von Verhören in Aussicht stellen.

Motassadeqs Verteidiger wirken ernst und reden eher leise. Selbst wenn Binalshibh als Zeuge aussagte, dürfe das Gericht davon nichts verwenden. Die Anwälte vermuten, Binalshibh werde gefoltert. Ein deutsches Gericht dürfe sich nicht in den „Sumpf“ des Lagersystems à la Guantanamo begeben.

Der einzige amerikanische Nebenkläger, der zum Hamburger Prozess gekommen ist, protestiert. Die Verteidiger „diskreditieren die mehr als 3000 Opfer des 11. September“, sagt Dominic J. Puopolo mit stockender Stimme. Seine Mutter starb im Nordturm des World Trade Centers in New York.

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