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Politik: „Vorbeugender Katastrophenschutz ist wichtig“

Rudolf Seiters, Präsident des Deutschen Roten Kreuzes, fordert mehr internationale Zusammenarbeit

Herr Seiters, die Jahre 1994 bis 2004 waren ein Jahrzehnt der Katastrophen. Mehr als 900000 Menschen kamen bei fast 6000 Katastrophen ums Leben. 2,5 Milliarden Menschen waren insgesamt betroffen. Welche Lehren müssen gezogen werden?

Die zum Teil hochmodernen Frühwarnsysteme müssen ausgebaut, aber auch besser auf die Evakuierungspläne abgestimmt werden. Es nützt nichts, wenn man weiß, dass ein Hurrikan oder eine Flutwelle kommt, aber man die Menschen dann nicht evakuieren kann. Ein positives Beispiel ist Kuba. Die Insel wurde 2004 vom Hurrikan „Charly“ hart getroffen. Doch 224000 Menschen konnten rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden, weil die Kommunikation in Kuba klappt. Das funktioniert dort nach dem Motto: „Schnell, sag den Nachbarn Bescheid!“ Die Warnsysteme sind international, aber Evakuierung und Hilfe müssen lokal abgestimmt sein.

Pro Katastrophe sterben in den Entwicklungsländern zehnmal mehr Menschen als in den entwickelten Ländern. Warum sind arme Menschen überproportional von Naturkatastrophen betroffen?

Sie leben zunächst einmal in Zonen, die stärker von Dürre, Überschwemmungen und Stürmen betroffen sind. Allein der indische Subkontinent, wo 60 Prozent der Menschen unter der Armutsgrenze leben, verzeichnet 50 Prozent aller Naturkatastrophen. Es kommen aber auch hohe Bevölkerungsdichte, Abholzung, Bodenerosion und Versteppung hinzu. Das führt dann zu hausgemachten Katastrophen, die die Entwicklungsländer wieder um Jahre zurück werfen.

Fürchten Sie nicht, dass den Helfern die Probleme mit der Zunahme der Katastrophen über den Kopf wachsen könnten?

2004 war tatsächlich ein verheerendes Jahr: 179 Katastrophen mit 255000 Toten. Wir sollten daraus lernen und begreifen, dass vorbeugender Katastrophenschutz eine Priorität der Entwicklungszusammenarbeit sein muss. Von der neuen Bundesregierung wünsche ich mir, dass sie noch intensiver die globalen Einsatzmöglichkeiten des DRK nutzt und uns als Partner in der Entwicklungszusammenarbeit versteht. Wir sind in 75 Ländern der Erde präsent und schulen die Bevölkerung auch in Katastrophenvorsorge. Es besorgt mich stark, dass das Ziel der Vereinten Nationen, die Armut bis 2015 zu halbieren, weit verfehlt wird. Nur fünf Staaten geben die angestrebten 0,7 Prozent ihres Bruttosozialprodukts für die Entwicklungshilfe aus. Die internationale Solidarität muss stärker werden.

Wie stark ist die Arbeit des DRK von Spenden abhängig?

Wir finanzieren uns zu 60 Prozent über Gelder der EU und der Bundesregierung. Der Rest sind Spenden. Besonders nach der Tsunami-Katastrophe war die Hilfsbereitschaft der Deutschen groß, 126Millionen Euro kamen zusammen. Für New Orleans wurde viel weniger gegeben.

Wie ist man in Deutschland auf Naturkatastrophen vorbereitet?

Hierzulande richtet sich das Augenmerk derzeit stärker auf terroristische Anschläge und auf die Frage, ob Katastrophenschutz und Zivilschutz zusammengelegt werden sollten. Darüber wird sicherlich im Bundestag zu reden sein. Was Naturkatastrophen betrifft: Sowohl bei der Flut an Oder und Elbe als auch in Bayern waren wir gut aufgestellt.

Ein Desaster wie in New Orleans…

…ist in Deutschland auszuschließen.

Die Fragen stellte Philipp Lichterbeck.

Rudolf Seiters ist seit Ende 2003 Präsident des Deutschen Roten Kreuzes. Der 68-Jährige war von 1991 bis 1993 Bundesinnenminister und zwischen 1998 und 2002 Bundestagsvizepräsident.

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