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Atomkraft-Gegner demonstrierten am Mittwoch vor dem Bundeswirtschaftsministerium in Berlin gegen Atomenergie.

© dpa

Vorschlag der Kernenergie-Kommission: So viel kostet der Atomausstieg

Die Kernenergie-Kommission schlägt eine klare Arbeits- und Kostenverteilung für den Umgang mit dem Erbe der Atomindustrie in Deutschland vor. Ist das der Durchbruch? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Ein gutes halbes Jahr lang hat die 19-köpfige Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs (KFK) darüber beraten, wie die Kosten für den Atomausstieg zwischen Staat und Atomkonzernen geteilt werden sollten. Dem Gremium gehörten Vertreter der Wirtschaft, von Gewerkschaften, Kirchen und Umweltverbänden an, es wurde von den drei Vorsitzenden  Jürgen Trittin (Grüne), Matthias Platzeck (SPD) und Ole von Beust (CDU) geleitet. Am Mittwoch hat die Kommission nun einstimmig einen Vorschlag vorgelegt, den sie als „Grundlage für einen neuen Entsorgungskonsens“ sieht.

Was hat die Kommission beschlossen?

Die KFK hat eine klare Arbeits- und Kostenteilung für den Umgang mit dem Erbe der Atomenergie in Deutschland vorgelegt. Die Konzerne bleiben für die Stilllegung und den Rückbau der Atomanlagen selbst zuständig und müssen zudem für die Verpackung der radioaktiven Abfälle aufkommen. Der schwach- und mittelradioaktive Müll soll im dafür genehmigten Endlager Schacht Konrad bei Salzgitter eingelagert werden, sobald es betriebsbereit ist. Das Lager ist seit Jahren im Bau. Die hochradioaktiven Abfälle müssen so verpackt werden, dass sie in einem Zwischenlager stehen können, bis sie in ferner Zukunft in einem Endlager verschwinden sollen. Derzeit wird in einer weiteren Kommission darüber gestritten, wie ein Endlagerstandort gefunden werden soll. Der Staat sucht, baut und betreibt das Endlager und nimmt den Konzernen die Verantwortung für die Zwischenlager ab, sobald die Reaktoren zurückgebaut worden sind.

Wieviel sollen die Konzerne zahlen?

Da das Verursacherprinzip beibehalten werden soll, sollen die Konzerne darüber hinaus 17,2 Milliarden Euro aus ihren Rückstellungen und zusätzlich 6,14 Milliarden Euro als Risikoaufschlag in einen neuen öffentlich-rechtlichen Fonds einzahlen. Mit dem Risikoaufschlag soll die Lücke gedeckt werden, die wegen der erwarteten niedrigeren Zinsen angenommen wird. Zudem rechnet die KFK mit einer zwei prozentigen jährlichen Kostensteigerung für Rückbau und Lagerung des Atommülls über die Inflationsrate hinaus, sagte der KFK-Vorsitzende Jürgen Trittin dem Tagesspiegel. Die Konzerne zahlen diese Summen in Raten in den Fonds ein. Mit diesen Zahlungen wird ihnen nach und nach die Haftung für die Hinterlassenschaften der Atomkraftwerke vom Staat abgenommen.

Was fordert die Kommission noch?

Die Rückstellungsmittel, die bei den Konzernen für den Rückbau der Meiler verbleiben, sollen transparenter ausgewiesen werden müssen, verlangt die Kommission. Die Konzerne sollen zudem verpflichtet werden, die Anlagen nach ihrer Stilllegung sofort zurückzubauen. Bisher lässt ihnen das Atomgesetz die Wahl zwischen dem unmittelbaren Rückbau und einem sogenannten „sicheren Einschluss“, wobei die Anlagen für ein oder zwei Jahrzehnte einfach stehen bleiben sollten, bis ein Teil der Strahlung abgebaut ist. Da es sehr schwierig ist, die Expertise der Mitarbeiter über den Umgang mit einem Reaktor über Jahrzehnte zu erhalten, hielt die Kommission einen sofortigen Rückbau für vernünftiger. Sie fordert die Landesregierungen auf, die Genehmigungen dafür schnell zu erteilen. Die Kommission empfiehlt auch, „dass die mit der nuklearen Entsorgung im Zusammenhang stehenden Klagen von den Unternehmen fallen gelassen werden“.

Wie sieht die Regierung den Kompromiss?

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), der die Kommission im Oktober berufen hatte, lobte die KFK und sagte: „Die Bundesregierung wird den Bericht nun genau prüfen und die erforderlichen Maßnahmen anschließend umsetzen.“ Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD), die für die Reaktorsicherheit und die Entsorgung zuständig ist, sieht den Kompromiss als „Durchbruch zur Lösung einer äußerst komplexen Frage“. Weiter sagte sie: „Die Einstimmigkeit verleiht dem Votum der Kommission ein besonderes Gewicht, das auf die nun anstehenden gesetzgeberischen Schritte sicher nicht ohne Wirkung bleiben wird.“ Ähnlich hat sich auch Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) geäußert. Jürgen Trittin geht davon aus, dass auch die grüne Bundestagsfraktion, die seit mehr als 15 Jahren einen öffentlich-rechtlichen Fonds für die gesamten Rückstellungen der Atomkonzerne gefordert hatte, entsprechenden Gesetzentwürfen zustimmen dürfte. „Ein parteiübergreifender Konsens ist uns in der KFK wichtig gewesen“, sagte er. Am Ende stimmte dem Kompromiss Regine Günther von der Umweltstiftung WWF ebenso zu wie der konservative CDU-Wirtschaftspolitiker Michael Fuchs.

Warum lehnen die Konzerne den Kompromiss ab?

Die Konzerne wehrten sich mit einer gleichlautenden Mitteilung zunächst gegen den Kompromiss, weil ihre „wirtschaftliche Leistungsfähigkeit überschritten“ werde. Sie beharrten auf der Auffassung, dass ihre Rückstellungen alle untersuchten Risiken, also die niedrigen Zinsen auf Anlagen wie die kernenergiebedingten Mehrkosten, abdecken könnten. Es gab mehrere Gespräche der vier Firmenchefs mit den drei KFK-Vorsitzenden. Die Konzerne hatten selbst eine Stiftungslösung vorgeschlagen. Sie wollten ihre Rücklagen und sämtliche Anlagen in diese Stiftung einbringen, um sich so von der Haftung komplett freizukaufen. Darauf hat sich die KFK nicht eingelassen. In den Gesprächen sollen die Unternehmen die grundsätzliche Verantwortungsteilung begrüßt haben. Allerdings wollten sie eine Vielzahl von Kosten gegen den Risikoaufschlag aufrechnen. Bis hin zu Mehrwertsteuern, die für die Errichtung des Endlagers Schacht Konrad über die Jahre entrichtet worden sind.

Wie sind die weiteren Reaktionen?

Die Börsen honorierten den Kompromiss der KFK zunächst. Die Aktienwerte von Eon und RWE stiegen nach der Bekanntgabe des Kompromisses. Analysten und Ratingagenturen sehen eine Haftung ohne Zeitbegrenzung als hohes Risiko für die Anleger. Vor allem angesichts der wirtschaftlichen Lage der Konzerne, die zu spät auf die Energiewende reagiert haben und nun in erhebliche Bedrängnis geraten sind. Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth sagte vor kurzem bei einer Tschernobyl-Veranstaltung in Berlin, es gehe inzwischen um „eine Art Schuldenberatung“ für die Atomkonzerne. Derzeit stehen die Energiekonzerne in ganz Europa stark im Fokus der Ratingagenturen. Diese deuteten an, alle Aktien konventioneller Erzeuger abwerten zu wollen.

Die Anti-Atombewegung reagierte empört auf den Bericht der KFK. Das Anti-Atom-Netzwerk Ausgestrahlt kritisierte, dass sich die Konzerne „billig von ihrer Verantwortung freikaufen“ könnten. Greenpeace kritisierte den Kompromiss als „teuren Ablasshandel“, und der BUND sieht das Verursacherprinzip missachtet. Dagegen lobte der Industrieverband BDI den Kompromiss. BDI-Präsident Ulrich Grillo, der der Kommission auch angehört hat, sagte: „Die Unternehmen bezahlen einen kräftigen Risikoaufschlag, der ihnen sehr viel abverlangt.“ Doch damit habe der Staat „einen Puffer, falls die Kosten steigen sollten“. Es sei aber auch gesichert, dass „Kostensteigerungen, welche die Politik verursacht“, in Zukunft auch von der Politik bezahlt werden müssten.

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