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„Vorschlaghammer“-Verfahren: Eine Armeeführung steht vor Gericht

In der Türkei hat ein Prozess gegen hohe Militärs begonnen, die 2003 angeblich putschen wollten. Noch nie hat das Land eine solche Ansammlung militärischer Führungsränge auf der Anklagebank gesehen.

Eines stellte Cetin Dogan schon vor Beginn des wichtigsten politischen Prozesses in der Türkei in diesem Jahr klar: Der Ex-General will kämpfen. „Die Wahrheit wird ans Licht kommen“, sagte Dogan am Donnerstag in Silivri. In dem Küstenstädtchen westlich von Istanbul müssen sich Dogan und 195 weitere Angeklagte wegen eines Putschversuches verantworten. Einige der einst mächtigsten Männer des Landes stehen vor dem Richter. „Ich bin kein Mann des Staatsstreichs“, betonte Dogan. Das sieht die Anklage anders. Sie fordert bis zu 20 Jahre Haft. Noch nie hat das Land eine solche Ansammlung militärischer Führungskader auf der Anklagebank gesehen. Dogan war Befehlshaber der Ersten Armee, der prestigeträchtigsten Einheit der türkischen Streitkräfte. Sein Mitangeklagter Özden Örnek war Kommandant der Marine. Halil Ibrahim Firtina war Luftwaffenchef. Sie alle sollen im Jahr 2003, nur wenige Monate nach dem Regierungsantritt der islamisch-bürgerlichen AK-Partei von Recep Tayyip Erdogan, den Sturz der verhassten Regierung geplant haben. „Balyoz“ - Vorschlaghammer - hieß die Parole für den Putschplan nach Angaben der Staatsanwaltschaft. Demnach planten die Verschwörer unter anderem Bombenanschläge auf Istanbuler Moscheen und den Abschuss eines türkischen Kampfjets über der Ägäis. Anschließend wollten sie Griechenland die Schuld geben und die politischen Spannungen zur Rechtfertigung des Staatsstreiches heranziehen. Ähnliche Muster wollen die Ermittler auch bei anderen mutmaßlichen Putschplänen seit dem Jahr 2003 entdeckt haben. Das „Vorschlaghammer“-Verfahren findet in einem eigens für Mammutprozesse gebauten Gerichtssaal statt, in dem auch die Verfahren gegen die rechtsgerichtete Gruppe „Ergenekon“ geführt werden. Auch im Ergenekon-Prozess müssen sich einige Ex-Generäle wegen eines Putschversuches verantworten. Doch beim Vorschlaghammer steht eine ganze Führungsriege der Streitkräfte am Pranger – und damit auch die Armee an sich. Armee-Kritiker wie der ehemalige Militärrichter Ümit Kardas begrüßen deshalb das Verfahren. „Die AKP kam 2002 an die Macht, und seit 2003 haben wir einen ganzen Wirbelwind von Putschversuchen“, sagte Kardas am Donnerstag unserer Zeitung. „Das zeigt, dass die Demokratie in der Türkei bedroht war.“ Tatsächlich hat sich die türkische Armee bisher nicht durch besondere Demokratie-Treue hervorgetan. Vier Regierungen verdrängten die Generäle seit 1960 von der Macht. Erst vor drei Jahren drohten die Militärs, die sich selbst als Beschützer der säkularen Ordnung sehen, öffentlich mit einem Putsch gegen Erdogan, den sie als Islamisten betrachten. Gut möglich, dass sich einige Generäle konkrete Gedanken über einen Umsturz gemacht haben. So sehen es zumindest die Ankläger. In einem Fall haben die Militärs bestätigt, dass es einen Plan zur Destabilisierung der Regierung gab. Ob die die Anklage aber stichfeste Beweise gegen die mutmaßlichen Vorschlaghammer-Verschwörer hat, ist umstritten. Mit der Methode „Kopieren und Einfügen“ seien Beweismittel konstruiert worden, sagt Ex-General Dogan. Andere Kritiker bemängeln, einige Institutionen, die laut Anklage bei dem Umsturz von der Armee hätten übernommen werden sollten, habe es im Jahr 2003 überhaupt noch nicht gegeben. Kurz vor Prozessbeginn wurde der Richter im Vorschlaghammer-Prozess ausgetauscht, für Erdogan-Gegner ein weiteres Indiz für eine Einmischung der Regierung. Die Anklage stützt sich auf ein Offiziersseminar unter Dogans Leitung im März 2003 in Istanbul. Dabei sollen Schritte gegen Erdogan besprochen worden sein. Alles Quatsch, sagt Dogan. Damals sei es um Planspiele zur Reaktion auf Bedrohungen durch Griechenland und islamische Extremisten gegangen. Die Staatsanwaltschaft lasse die völlig legitime Denkarbeit mit Hilfe von Manipulation wie einen Putschplan aussehen. Warum die Staatsanwaltschaft so etwas tun sollte, ist für Gegner Erdogans klar. Sie glauben, die Regierung wolle die Armee fertigmachen. Schon jetzt ist das Ansehen der früher hoch respektierten und gefürchteten Generäle auf einem Tiefpunkt; gesetzliche Reformen haben ihnen viel von ihrer Macht genommen. Gegen eine Hexenjagd spricht allerdings, dass wichtige Hinweise für den Vorschlaghammer-Prozess aus der Armee selbst kamen: Offiziere spielten der armee-kritischen Zeitung „Taraf“ entscheidende Dokumente zu. „Eine gesunde Sache“ sei das Ganze für die Türkei, findet Ex-Militärrichter Kardas. Denn damit sein klar, dass einige Offiziere gegen die Putschvorbereitungen seien. „Ein Putsch ist Faschismus, und es ist die Pflicht jedes Bürgers, so etwas zu melden“, sagte Kardas.

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