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Monika Herrmann (Bündnis 90/Die Grünen, l), Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg und Regine Günther (parteilos), Verkehrssenatorin, fahren auf dem geschützten Radfahrstreifens an der Hasenheide.

© Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa

Vorschriften widersprechen Rechtsprechung: Warum es so schwierig ist, gute Radwege zu bauen

Radfahrer müssen mit viel Abstand überholt werden, sagt die Rechtsprechung. Doch die Vorschriften für den Bau von Radwegen berücksichtigen das nicht.

In deutschen Behörden und Verwaltungsabteilungen wird zentimetergenau geplant, wie der Straßenquerschnitt auf die verschiedenen Verkehrsarten aufzuteilen ist: Wie viel Platz wird dem Fußverkehr zugestanden? Welche Regelbreiten muss ein Radstreifen haben? Wie breit muss der Fahrstreifen für die geplante Menge an Schwerverkehr (zum Beispiel Lkw) sein? Und wann wird ein Sicherheitstrennstreifen zwischen Kraftverkehr und Radverkehr benötigt? Auf dem Papier sehen solche Pläne schön aus: Alles ist bedacht, hat seine Ordnung und funktioniert.

Es gibt aber ein Problem: Die Verkehrsplaner arbeiten nach Regeln, die nicht dem aktuellen Stand der Rechtsprechung entsprechen. Radwege sollen demnach zwar 1,5 Meter breit sein, dieses Maß kann allerdings in bestimmten Fällen unterschritten werden. Und ein allgemein verbindlicher Seitenabstand kommt in den Planungsvorschriften gar nicht vor.

Dabei forderte das Brandenburgische Oberlandesgericht bereits 2011 einen Seitenabstand beim Überholen an Radstreifen von „mindestens 1,5 bis zwei Meter“. Unterstützt wird dies durch das „Rechtsgutachten zu markierten Radverkehrsführungen“ der Unfallforschung der Versicherer (UDV) vom 9. Januar 2019: 1,5 Meter Mindestabstand sind dem Gutachten nach zu allen Radfahrenden auf markierten Schutz- und Radstreifen einzuhalten.

Eine entsprechende Anpassung der Regelwerke der Verkehrsplaner an diese relativ eindeutige Rechtslage gab es bisher aber nicht. Es wird also Verkehrsinfrastruktur in Form von Schutz- und Radstreifen auf die Straßen gemalt, die zu gefährlichem und regelwidrigem Verhalten verleitet.

Auch wenn die meisten Kraftfahrzeugfahrenden so zu dichtem Überholen verführt werden, sehen offizielle Stellen darin kein Problem. Die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) teilt auf Anfrage mit: „In den technischen Regelwerken geht es darum aufzuzeigen, wie die Infrastruktur gestaltet werden sollte. Indirekt lösen einzelne Infrastrukturelemente ein gewisses Verhalten aus: beispielsweise langsameres Fahren bei geringeren Querschnittsbreiten. Fahrbahnmarkierungen stellen keine Verhaltensregel dar. Verhaltensregeln sind Gegenstand der Straßenverkehrsordnung (StVO)“, heißt es lapidar.

Autos müssen hinter dem Radler bleiben, bis Platz fürs Überholen da ist

Auch Dr. Jürgen Steinbrecher, der Leiter des Ausschusses der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e. V. (FGSV), die mit den „Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen“ (RASt) eines der relevanten Regelwerke für die Planung von Radwegen herausgibt, sagt: „Das Verhaltensrecht ist von den Entwurfsregeln zu unterscheiden. Es ist unrealistisch, nur noch Markierungen zu empfehlen, die immer ein Überholen mit 1,5 Metern Seitenabstand erlauben. Das gibt der zur Verfügung stehende Straßenraum oft nicht her. Kraftfahrende müssen auch mal eine Zeitlang hinter den Radfahrenden bleiben, bis sich eine Gelegenheit zum Überholen mit ausreichendem Abstand bietet.“

Der Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UDV) Siegfried Brockmann fordert, dass „Infrastruktur so gestaltet werden muss, dass eine Einhaltung der Regeln zumindest möglich wird. Schutzstreifen für den Radverkehr, die zwei sich begegnende Autos mitbenutzen müssen, um aneinander vorbeizukommen, sind ungeeignet“, sagt er. „Schon bei der Planung von Schutz- und Radstreifen muss berücksichtigt werden, dass die Seitenabstände beim Überholen auch eingehalten werden können.“

Da dies eine Verbesserung der derzeitigen Situation wäre, wird sie auch vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad Club (ADFC) begrüßt. Der Verband fordert aber noch mehr: „Auf die Straße gemalte Streifen bleiben als Infrastrukturangebot für Radfahrerinnen und Radfahrer problematisch“, teilt der ADFC mit. „Auf stark befahrenen Straßen brauchen wir physisch geschützte Radwege und -spuren.“

In Berlin sind in der Holzmarktstraße, dem Dahlemer Weg und zuletzt an der Hasenheide drei Abschnitte mit geschützten Radstreifen gebaut worden. Und auch dort, wo keine geschützten Radwege entstehen, gibt es Aussicht auf Besserung: „Die Überarbeitung der Ausführungsvorschrift Geh- und Radwege liegt an und ist in Vorbereitung. Neue Erkenntnisse werden dabei selbstverständlich berücksichtigt“, sagt Jan Thomsen, Pressesprecher der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz. „Die Regelbreiten für Radwege haben wir bereits angepasst – sie liegen daher schon jetzt im Rahmen dessen, was die UDV vorschlägt.“ Wie lange es dauert, bis die Maßnahmen auf der Straße ankommen, ist aber offen.

Andreas Baum

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