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Vorwahlen USA: Die verworrene Suche der Republikaner

Im vergangenen Jahr haben sich die republikanischen Präsidentschaftskandidaten in den USA gegenseitig demontiert. Heute starten in Iowa die Vorwahlen. Mitt Romney hat gute Chancen, sie zu gewinnen, denn er hat einfach nur durchgehalten.

Sie mögen ihn nicht. Trotzdem wird er heute, an einem Dienstagabend, bei dem es vor allem um Sympathien geht, darum also, gemocht zu werden, gewinnen. Denn dass Mitt Romney überhaupt noch dabei ist, das ist schon ein Sieg. Selbst wenn er bei der ersten Vorwahl im US-Präsidentschaftsrennen 2012 in Iowa nur Zweiter würde. Es wäre Romneys Triumph in einer bislang eher verworrenen Suche der Republikaner, einen geeigneten Gegenkandidaten im Kampf gegen Präsident Obama zu finden – und Romney dabei hartnäckig zu übergehen.

Es hat Fernsehdebatten und Interviews aller Bewerber gegeben, die Peinlichkeiten leisteten sich dabei vor allem die anderen. Die Republikaner taten sich schwer, ihrer Suche etwas Präsidiales zu geben. Am besten hat sich von den Kandidaten Mitt Romney geschlagen. Wenn es gut für ihn läuft, dann siegt er in Iowa sogar. Dann hätte er sich die Kandidatur der Republikaner schon halbwegs gesichert.

Iowa ist kein gutes Terrain für den ideologisch biegsamen Mormonen Romney. In diesem Farmstaat im Mittleren Westen sind die Republikaner besonders christlich und wertkonservativ. Bis vor wenigen Wochen hätte es kaum ein Experte für möglich gehalten, dass Romney hier gewinnen könnte. Normalerweise siegt hier ein Favorit der religiösen Wähler: 2008 gewann Mike Huckabee haushoch, ein Gitarre spielender Pfarrer und Ex-Gouverneur aus den Südstaaten.

Wenn die Republikaner nun Romney ihre Stimme geben, dann werden sie das nicht aus Überzeugung tun, sondern eher als Notlösung. Tim McCleary ist einer dieser konservativen Bürger, die Romney mit zusammengebissenen Zähnen wählen wollen. „Er ist keiner, dem ich mich auf Anhieb nahe fühle“, sagt der 52-jährige Inhaber eines Trailer-Parks. „Aber wir müssen jemanden nominieren, der Obama schlagen kann.“

So klingt politischer Pragmatismus. Und so klingt die Enttäuschung darüber, keine Identifikationsfigur zu haben, die das alte, auf seinen Tugenden beharrende Amerika verkörpern könnte. Auch Mitt Romney tut das nicht. Mitte Dezember hatte er lediglich den dritten Platz bei den Umfragen in Iowa belegt. Damals führte Newt Gingrich mit großem Abstand. In den 90er Jahren war der als „Speaker“ des Abgeordnetenhauses der Gegenspieler des damaligen Präsidenten Bill Clinton. Doch je mehr die Medien über Gingrich als neuen Spitzenreiter des republikanischen Kandidatenfeldes berichteten, desto genauer erinnerten sich Amerikas Bürger an seine Schwächen: seine Eitelkeit und Selbstüberschätzung, sein loses Mundwerk, seine drei Ehen, die in abstoßende Scheidungsdramen mündeten. Der 68-jährige Gingrich hat seither stark an Boden verloren. Es ist ein Auf und Ab.

Mitte vergangener Woche rückte dann Romney in einer CNN-Erhebung für Iowa an die Spitze. Andere Demoskopen sehen ihn gleichauf mit Ron Paul. Der schnelle Aufstieg des Kongressabgeordneten Paul kommt überraschend. Für Romney hat er den strategisch nützlichen Effekt, dass er wie eine Brandmauer gegen all die anderen Rivalen wirkt, die ihm wirklich gefährlich werden könnten. Denn Paul bindet Stimmen, die andere nützlicher bräuchten als Romney. Es verschaffte diesem einen Vorsprung.

Nach einer kurzen Weihnachtsruhe zogen die sieben verbliebenen Kandidaten seit dem 26. Dezember wieder durch die 99 Kreise des Bundesstaats, um möglichst viele der angeblich 40 Prozent unentschlossener Wähler für sich zu gewinnen: Mitt Romney, Ron Paul und Newt Gingrich, die Tea-Party-Ikone Michele Bachmann, der Ex-Gouverneur von Utah Jon Huntsman, ebenfalls ein Mormone, Texas-Gouverneur Rick Perry und Ex-Senator Rick Santorum. Bei ihren Auftritten wetteiferten sie darum, wer als der konservativste Kandidat gelten durfte. In der Außenpolitik gelobten sie unverbrüchliche Solidarität mit Israel und drohten mit Militärschlägen gegen den Iran. Zu den Versprechen gehört auch ein kategorisches Verbot von Abtreibungen. Rick Perry, der auch einmal weit vorne gelegen hatte, wollte sie bisher zumindest nach einer Vergewaltigung oder bei Inzest zulassen. Nun verkündete der Texas-Gouverneur einen „Sinneswandel aus allertiefstem Herzen“. Er sei für ein gesetzliches Abtreibungsverbot ohne jede Ausnahme.

Auch in diesem Wettstreit um konservative Herzthemen ist Romney ein bevorzugtes Ziel. Sie nennen ihn einen „Flip Flopper“ – einen Politiker, der seine Ansichten opportunistisch danach ausrichtet, für welches Amt er kandidiert. 2002 wurde er Gouverneur des liberalen Ostküstenstaats Massachusetts und vertrat damals moderate Positionen bezüglich Abtreibung, Homosexualität und des Rechts, eine Waffe zu tragen. „Mitt Romney hat die Homo-Ehe verteidigt“, empörte sich Michele Bachmann bei einem Auftritt in einem Café in Council Bluffs ganz im Westen Iowas, nahe der Grenze zu Nebraska, und erntete dafür Beifall von den etwa 30 anwesenden Bürgern.

Romney könnte als lachender Dritter dastehen.

Schon einmal hatte Romney 2008 um die Kandidatur gekämpft und wurde mit 25 Prozent in Iowa Zweiter. Nun liegt er aktuell bei 22 Prozent, aber er hat das Glück, dass sich die Stimmen der Religiösen auf mehrere Rivalen verteilen, was auch deren schrille Tonlage erklärt. Da könnten schon 22 Prozent für den Sieg reichen. Sollte Romney Erfolg im christlich-konservativen Iowa haben, wäre es eine späte Genugtuung für ihn nach all den Zurückweisungen und Verletzungen, die er in der eigenen Partei hat ertragen müssen.

Unter Experten galt er von Anfang an als der Favorit für die Kandidatur. Hauptthema dieses Wahljahres werden die Wirtschaftskrise und die hohe Arbeitslosenrate sein. Romney war ein erfolgreicher Geschäftsmann, hat also Wirtschaftskompetenz bewiesen. Und er hat Regierungserfahrung als Gouverneur von Massachusetts gesammelt. Das Jahr 2011 nutzte er dazu, eine wirkungsvolle Organisation in den 50 Bundesstaaten der USA aufzubauen. An den Fernsehdebatten nahm er teil, zielte aber im Kontrast zu den Rivalen nicht darauf ab, mit besonders schrillen Attacken auf Obama, unrealistischen Steuersenkungsversprechen oder persönlicher Kritik an den konservativen Konkurrenten um Aufmerksamkeit zu buhlen. Während Ron Pauls millionenteure Werbespots Romney als Marionette wirtschaftlicher Lobbygruppen diffamieren, ist er besser vorbereitet als seine Wettbewerber und führt den Wahlkampf disziplinierter als sie. Nach den Umfragen gilt er derzeit als der Einzige, der Barack Obama am 6. November schlagen kann. Für die Politstrategen der beiden großen Lager ist es ausgemachte Sache, dass Romney der Kandidat wird.

Damit es so kommt, müssen die Republikaner ihn freilich nominieren. In den USA entscheiden das nicht Parteigremien. In den Vorwahlen stimmen die Wähler zwischen Januar und Juni in allen 50 Bundesstaaten darüber ab. Die frühen Abstimmungen in Iowa und New Hampshire haben dabei eine besondere Bedeutung. Wer hier besser als erwartet abschneidet, zieht das Medieninteresse auf sich und erhält in der Folge höhere Spenden, um den Wahlkampf weiter zu finanzieren. Wer nicht punktet, für den ist die Kampagne so gut wie beendet. Ein Abschneiden unter den ersten Drei in Iowa gilt als Voraussetzung, um im Rennen zu bleiben. Die letzten Umfragen sahen Santorum hinter Paul und Romney mit etwas Abstand auf Platz drei. Ein schlechtes Resultat in Iowa lässt sich durch einen Triumph in New Hampshire ausgleichen. Wer beide Male scheitert, erklärt in der Regel seinen Rückzug.

Wer um die Gunst der Wähler in Iowa buhlt, muss Bescheidenheit lernen. 2,2 Millionen Menschen sind im wahlfähigen Alter. Etwa 120 000 beteiligen sich an der republikanischen Vorwahl. Sie sind ungleichmäßig verteilt auf 1774 Wahllokale in 99 Kreisen – mancherorts werden ein bis zwei Dutzend Bürger über das Votum eines Wahlkreises entscheiden. Und oft sind es ebenso viele Menschen, vor denen die Bewerber ihre Reden halten. In Fitnessstudios, Gemeindesälen, Schulen, Schnellrestaurants und Bars. Romney hatte da lange einen schweren Stand.

Es liegt ihm nicht, seinen professionellen Schutzpanzer von Innen her aufzubrechen und unbeschwert auf Menschen zuzugehen. Er hat sich Floskeln zurechtgelegt, um Leutseligkeit zu beweisen. Besonders gerne spielt er auf die Einwanderungsgeschichte oder das Verwandtschaftsverhältnis von Menschen an, die gemeinsam zu seinen Wahlkampfauftritten kommen. So etwas kann daneben gehen. „Lassen Sie mich raten: Sie stammen aus Skandinavien?“, fragte er einen Mann mit ungewohntem Namen in Davenport. „Nein, aus Sizilien“, war die Antwort. In Tilton, New Hampshire, folgte ein Augenblick betretener Stille, als Romney einen Mann und eine Frau unterschiedlichen Alters ansprach: „Vater und Tochter?“

„Nein, meine Ehefrau“, korrigierte der Mann, während sie errötete.

Die Herzen der Bevölkerung wird Romney nicht gewinnen können.

Sichtlich wohler fühlt sich Romney, wenn er sein Geschick im Umgang mit Geschäftszahlen oder sein Interesse für technische Neuerungen vorzeigen darf. In Davenport ließ er in die übliche Wahlkampfrede, in der sich eine Breitseite gegen Obama an die andere reihte, spontan einfließen, dass das Hotel aus dem er gerade komme, „LEED certified“ sei – also das Gütesiegel für niedrigen Energieverbrauch trage. Beim Besuch einer Farm lernte er, dass eine gute Milchkuh ungefähr „100 pounds“ pro Tag produziere. Man konnte ihm ansehen, wie er im Kopf rechnete. Nach wenigen Sekunden gab er das Ergebnis im üblichen amerikanischen Volumenmaß preis: „Das wären dann also zwölf Gallonen.“

Doch an die Herzen der Republikaner kommt er mit Gallonen und Gütesiegeln nicht heran. Seit dem Frühjahr 2011 musste er ein grausames öffentliches Schauspiel über sich ergehen lassen. Ungeachtet seines Favoritenstatus’ begeisterte sich die Basis alle paar Wochen für einen anderen Rivalen. Wenn sich herausstellte, dass diese Person Schwächen aufwies, ließ die öffentliche Meinung sie wieder fallen und wandte sich dem nächsten Hoffnungsträger zu. So eroberte im Frühjahr Immobilienhai Donald Trump die Umfragen, im Frühsommer die Tea-Party-Kandidatin Michele Bachmann, Mitte August Texas-Gouverneur Rick Perry, Ende September der Ex-Manager der Fast-Food-Kette „Godfathers Pizza“, Herman Cain.

Sie alle wichen bald wieder, als sie Zweifel an ihrer Eignung weckten. Trump trat so auf, als wäre Politik ein Wettbewerb um Talkshow-Pointen. Er schürte Misstrauen, ob Barack Obama überhaupt in den USA geboren und damit ein legitimer Präsident sei. Michele Bachmann tritt gerne als überzeugte Patriotin auf, doch ihr unterliefen peinliche Fehler bei ihrer Darstellung der ruhmreichen Geschichte der USA. Rick Perry erwies sich in den Fernsehdebatten als miserabler Redner und wirkte unvorbereitet. Als ein Moderator ihn nach einer seiner Kernforderungen fragte, der Verkleinerung der Regierung, konnte er die drei Ministerien, die er schließen wollte, nicht aufzählen. Herman Cain gab haarsträubende Antworten, wenn er zur Weltpolitik Stellung nehmen sollte. Schließlich meldeten sich mehrere Frauen, die er als Vorgesetzter sexuell belästigt haben soll. Er gab den Wahlkampf auf.

Noch immer wollte die Basis Romney ihre Gunst nicht schenken. Diesmal erfuhr Newt Gingrich, wie überraschend die Republikaner ihre Zuneigung in diesem Vorwahlkampf verteilen. Auch das blieb Episode.

Es scheint, als hätten die Konservativen das vergangene Jahr genutzt, sämtliche Möglichkeiten durchzuspielen. Nun bleibt nur noch Romney. Ron Paul und Rick Santorum können ihm die Führung in Iowa streitig machen, aber im weiteren Verlauf muss er sie beide nicht fürchten. Paul ist ein Libertärer. Seine Forderung, alle US-Truppen aus dem Ausland abzuziehen, sowie seine erbitterte Ablehnung zentraler Macht wirken auf eine ebenso energische Minderheit faszinierend, sind aber nicht mehrheitsfähig. Rick Santorum punktet bei der christlichen Rechten mit seiner Beschwörung der Familie als Keimzelle der Gesellschaft und der Verteidigung des „home schooling“: des Rechts aller Eltern, ihre Kinder zu Hause zu erziehen, statt sie in die Schule zu schicken.

Doch schon bei der zweiten Vorwahl in New Hampshire in einer Woche gilt ein hoher Sieg Romneys als ziemlich sicher. New Hampshire ist ein säkularer Ostküstenstaat, wo Wirtschaftskompetenz wichtig ist. Die kann ein Mann wie Ron Paul, der zur Goldwährung zurückkehren möchte, schwerlich nachweisen. Dann hat Romney ein Polster und kann beruhigt die Vorwahlen Nummer drei und vier in South Carolina und Florida über sich ergehen lassen.

Der Süden ist kein Romney-Territorium. Nach heutigen Umfragen hat Newt Gingrich gute Chancen, dort zu siegen und ernsthaft ins Rennen einzugreifen. Er stammt aus Georgia. 2011 hat er jedoch die mühselige Organisationsarbeit in der Weite der 50 Bundesstaaten vernachlässigt. In Virginia, einem wichtigen Staat, wo er zudem wohnt, hat er nicht einmal die nötigen Unterschriften zusammenbekommen, damit sein Name auf dem Stimmzettel erscheint. Das lässt Wähler und Großspender an seinen Chancen zweifeln. Sollte er sowohl in Iowa als auch New Hampshire scheitern, wäre auch er kein ernsthafter Konkurrent mehr.

Präsident Obama und sein Wahlkampfteam stellen sich auf Romney ein. Sie hätten freilich nichts dagegen, wenn sich die Entscheidung noch ein bisschen hinauszögert und die Republikaner sich einen langen, schmutzigen, parteiinternen Vorwahlkampf lieferten.

Jeder Angriff eines konservativen Parteifreunds auf Romney wirkt schädlicher, als wenn er von Obama käme. Und jede Million, die Romney jetzt für Werbung ausgeben muss, um sich seiner republikanischen Rivalen zu erwehren, wird ihm im Hauptwahlkampf im Herbst gegen Obama fehlen.

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