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Der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan.

© dpa

Vorwahlkampf in der Türkei: Erdogan verschärft Alkohol-Vorschriften

Die Erdogan-Regierung zieht bei den Regeln für den Alkoholausschank in der Türkei die Zügel straffer. Ein neues Beispiel für die Islamisierung des Landes, sagen Gegner des Premiers. Eine Jugendschutzmaßnahme, entgegnet Erdogan. In Wahrheit geht es um etwas ganz anderes.

Der "Efes Pilsen Spor Kulübü" ist einer der erfolgreichsten Basketballclubs der Türkei. Doch er wird nicht mehr lange so heißen: Der Verweis auf den Alkohol im Vereinsnamen muss verschwinden. Das ist nur eine von mehreren Dutzend neuen Vorschriften, mit denen die türkischen Behörden insbesondere junge Leute vor den Gefahren des Alkohols bewahren wollen - wobei die Türken bis zu einem Alter von 24 Jahren als jung eingestuft werden. Ein weiteres Beispiel für die Islamisierung des Landes, schimpfen die Gegner von Premier Recep Tayyip Erdogan. Eine reine Jugendschutzmaßnahme, entgegnet dieser: Pichler könnten weiter trinken "bis zum Umfallen". In Wahrheit geht es weder um den Islam noch um den Jugendschutz. Es geht um die nächsten Wahlen.

Selbst Beobachter, die Erdogan normalerweise mit Sympathie betrachten, sind verwirrt angesichts der neuen Schankregeln, die innerhalb der nächsten Monate in Kraft treten. Mit 18 Jahren könne man wählen, am Steuer eines Wagens andere Leute gefährden und auch weiter wie bisher Alkohol kaufen und konsumieren - aber vor Alkohol-Werbung wie bei "Efes Pilsen Spor Külübü" solle man plötzlich geschützt werden, wunderte sich der Kolumnist Mehmet Barlas in einer Fernsehsendung.

Erdogan-Gegner wittern finstere Absichten hinter den Plänen der Aufsichtsbehörde: Engin Altay, Vizechef der Oppositionspartei CHP, warf der religiös-konservativen Erdogan-Partei AKP vor, die Alkoholpläne seien Teil einer islamistischen Geheimagenda. Erdogan selbst trinkt als frommer Muslim keinen Alkohol und ist auch als militanter Nichtraucher bekannt. Erdogan-Gegner in Ankara wandten sich am Mittwoch an den ebenfalls als regierungskritisch bekannten Verwaltungsgerichtshof, um die neuen Regeln annullieren zu lassen.

Doch nicht alles an der neuen Alkoholverordnung lässt sich als völlig unsinnig oder gar islamistisch einstufen. So soll der Verkauf von Wein, Bier und Schnaps an Autobahnraststätten untersagt werden. Bei der Definition von "Jugend" bis zum 24. Lebensjahr orientiere man sich an Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation, sagt die Regierung. Winzerverbände bezeichneten die neuen Einschränkungen als "rational", von einem Alkoholverbot könne keine Rede sein.

Mehr Wahltaktik als Weltanschauung

Ohnehin liegen die Gründe für den Streit um Bier und Schnaps eher in Wahltaktik als in Weltanschauung. Das gilt auch für Erdogans kürzliche, auf seine säkularistischen Gegner gemünzte Bemerkung über Trinker, die saufen bis zum Umfallen. Vor der Parlamentswahl am 12. Juni rückt Erdogan mit seiner AKP nach rechts, weil der Premier dort den Schlüssel für einen erneuten Sieg und die Fortsetzung der Alleinregierung sieht.

In den Umfragen liegt die AKP derzeit bei mehr als 40 Prozent und damit unangefochten an der Spitze. Die CHP als größte Oppositionskraft rangiert zwischen 20 und 30 Prozent. Sie gibt sich unter neuer Führung wieder mehr als linke Volkspartei und will weg von ihrem bisherigen reformfeindlich-nationalistischen Kurs.

Für Erdogan ist aber nicht die CHP der Hauptgegner, weil er davon ausgeht, dass die AKP links der Mitte nicht mehr viel zu holen hat. Die AKP will vor allem Stimmen aus dem fromm-rechtsnationalistischen Lager gewinnen, wo die Nationalistenpartei MHP knapp über der Zehnprozent-Hürde dümpelt. Sollte es der AKP gelingen, die MHP bei den Wahlen aus dem Parlament zu drängen, könnte sie weiter allein regieren und sogar auf eine Zweidrittelmehrheit hoffen. Angesichts der Tatsache, dass nach der Wahl über eine ganz neue Verfassung für das Land entschieden werden soll, wäre eine solche Machtposition sehr wichtig. Die AKP schickt sich an, die Türkei auf Jahrzehnte hinaus zu prägen.

Im Dienste solcher strategischer Ziele kann man in tagesaktuellen politischen Auseinandersetzungen getrost etwas dicker auftragen, mag sich Erdogan denken. Er ist ohnehin für sein aufbrausendes Temperament und seine dünnhäutige Reaktion auf Kritik bekannt. Ein Denkmal für die türkisch-armenische Freundschaft im ostanatolischen Kars bezeichnete er als "monströs", mit einem Besuch eines osmanischen Schlachtfeldes sammelte er weitere Nationalisten-Punkte. Den Chefredakteur der unabhängigen Zeitung "Taraf", der Erdogan in einer Kolumne wegen der Anbiederung an die Rechten kritisiert hatte, verklagte der Premier wegen Beleidigung.

Die bevorstehende Wahl ist auch der Hintergrund von Erdogans harter Haltung im Zypern-Konflikt und des jüngsten Streits mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Zugeständnisse auf der geteilten Mittelmeerinsel kommen für Ankara nur in Frage, wenn die EU den türkischen Teil Zyperns aus seiner wirtschaftlichen Isolation befreit. Dann würde Erdogan auch die EU-Forderung nach einer Hafenöffnung für die griechischen Zyprer erfüllen - denn ein Ende der wirtschaftlichen Isolation der türkischen Zyprer wäre ein Pluspunkt für den Premier im kommenden Wahlkampf. Das ist die Brille, durch die Erdogan bis zum 12. Juni die Welt sieht.

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