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Politik: Wachstum nicht um jeden Preis

Wie die SPD den Fortschritt verteidigen und dabei neu definieren will

Berlin - Aufgeben will Frank-Walter Steinmeier den Fortschritt nicht. Der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion hat am Dienstag zum Auftakt des „Fortschrittsforums“ der Friedrich-Ebert-Stiftung und dreier weiterer Stiftungen den Fortschrittsbegriff und auch das Wachstum verteidigt. „Wir werden nicht völlig auf Wachstum verzichten können“, sagte Steinmeier. Denn das hätte „soziale Kämpfe“ zur Folge, die nicht mehr lösbar seien. Es könne aber beim Wachstum nicht mehr darum gehen, es „um jeden Preis“ zu vermehren.

Steinmeier kämpfte bei seiner Rede mit dem Zwiespalt, der die wachstumskritische Diskussion seit nunmehr fast 40 Jahren begleitet: „Das Wirtschaftswachstum ist der Treiber des Wohlstands.“ Und jede Umverteilungspolitik fällt deutlich leichter, wenn es auch mehr zu verteilen gibt und dafür niemandem etwas weggenommen werden muss. Auf der anderen Seite sind die Grenzen des Wachstums längst überschritten. Steinmeier drückte das vorsichtig so aus, das heutige Wachstum finde „vielleicht“ auf Kosten „des Wohlstands von morgen“ statt.

Ernst Ulrich von Weizsäcker, einer von drei Sprechern des neuen Fortschrittsforums, hat die Aufgabe zuvor klar beschrieben: „Wir brauchen eine technische und zivilisatorische Revolution zur Erhöhung der Ressourcenproduktivität.“ Mit anderen Worten, der Verbrauch an Rohstoffen in den Industrieländern müsse drastisch heruntergefahren werden. Für Weizsäcker hat die Veränderung, die notwendig ist, um die Grenzen des Erdsystems zu respektieren, die „Größenordnung einer industriellen Revolution“. Steinmeier sieht es deshalb als Aufgabe der Politik an, eine „Hoffnung zu begründen, warum Fortschritt weiter möglich ist“. Inge Kaul, Professorin an der Hertie School of Governance, forderte trotz der überwiegend innenpolitischen Perspektive des Fortschrittsforums die Formulierung einer „Globalpolitik“. Schließlich seien die aktuellen Krisen, „von denen wir uns gejagt fühlen“, allesamt internationale Krisen.

Die Ebert-Stiftung hat auf die Bitte Steinmeiers hin das Fortschrittsforum initiiert. Neben Weizsäcker, der eine Arbeitsgruppe zu Wirtschaft und Wachstum leiten wird, leitet Angelika Gifford, Direktorin von Microsoft Deutschland, einen weiteren Gesprächskreis zur Bildung und Bildungspolitik der Zukunft. Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin, übernimmt eine Arbeitsgruppe zur Frage, wie Leben und Arbeit „ermöglicht werden“ könnten. Das Fortschrittsforum, dem sich mehr als 100 renommierte Persönlichkeiten aus der Wissenschaft, der Wirtschaft, den Gewerkschaften und der Politik angeschlossen haben, soll die Arbeit der Bundestags-Enquetekommission Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität begleiten.

Die Vorsitzende der Enquetekommission, Daniela Kluge (SPD), sieht angesichts der aktuellen Krisen die Chance, über die Parteigrenzen hinweg zu Kompromissen zu kommen. Die Enquetekommission war Anfang des Jahres auf Antrag von SPD und Grünen eingesetzt worden. Sie soll ermitteln, wie ein Wirtschaftswachstum mit einem drastisch geringeren Ressourcenverbrauch möglich ist. Zudem soll die Runde Messgrößen finden, mit denen die Wohlfahrt in Deutschland beschrieben werden kann, die über das Bruttoinlandsprodukt, also die Wirtschaftsleistung hinausgehen. Kluge wünscht sich für diese Debatte auch „Druck von außen“ und hofft, dass das Fortschrittsforum diesen entfalten wird.

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