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Politik: Wäre, hätte, könnte

In der Verhandlung über Neuwahlen stoßen die Meinungen aufeinander – selbst die Richter sind sich nicht einig

Werner Schulz ist ein geübter Rhetoriker, aber am Dienstag verzichtet er auf freie Rede. Anders als im politischen Raum, sagt der grüne Bundestagsabgeordnete, „kommt es hier auf jedes einzelne Wort an“. Also liest er ab, weshalb er gegen die Entscheidung Horst Köhlers, den Bundestag aufzulösen, vor das Verfassungsgericht nach Karlsruhe gezogen ist. Er spart sich seinen umstrittenen Vergleich, in Berlin werde ein Stück Weimar aufgeführt, er nennt den Bundespräsidenten auch nicht mehr einen „Vollzugsbeamten“ des Kanzlers, aber sein Groll ist ihm dennoch anzumerken. „Mir ist die Demokratie nicht geschenkt worden“, sagt der frühere DDR-Bürgerrechtler, umso schwerer treffe ihn die „Flucht aus der Verantwortung“, die Gerhard Schröder mit den Neuwahlen angetreten habe.

Werner Schulz und die SPD-Abgeordnete Jelena Hoffmann sind die einzigen Abgeordneten, die Schröders Taktik für ausdrücklich verfassungswidrig halten. Während Schulz sich zum Anwalt eines verfassungstreuen Demokratieverständnisses macht, ist Hoffmann anzumerken, dass sie sich persönlich gekränkt fühlt. Sie versteht nicht, warum sie einem Kanzler das Vertrauen entziehen sollte, der ihr Vertrauen genießt. Das hat sie auch „dem Franz“ Müntefering gesagt, doch der habe nur lächelnd entgegnet: „Es gibt keinen anderen Weg.“

Gab es einen anderen Weg? Natürlich. Gerhard Schröder hätte zurücktreten können, er hätte seinen Neuwahl-Vorstoß auch gleich ganz bleiben lassen können. Der Rechtstreit dreht sich nun im Kern um die Frage, ob und wie eine fehlende Unterstützung Schröders dessen eigene Einschätzungssache ist – oder ob das Misstrauen des Parlaments ein nachweisbarer Faktor ist und sein muss, der nun vor Gericht im Detail zu belegen ist. 1983, im Fall Helmut Kohl, wählte das Gericht einen eigentümlichen Kompromiss: Es schraubte die Anforderungen an die „Auflösungslage“ nach oben, gestand der Politik aber weite Spielräume bei der Beurteilung dieser Lage zu.

Otto Schily ist sichtbar erleichtert, als er merkt, dass die Richter dieses Urteil auch über 20 Jahre später wohl nicht grundsätzlich überprüfen werden. Der Senatsvorsitzende Winfried Hassemer nennt es ein „wichtiges Urteil“, und sein Kollege Udo Di Fabio, bekannt für sein Temperament, dringt sogleich in die Kläger: Was etwa wäre, wenn Schröder Steuererhöhungen plane und sicher wäre, dass das Parlament diese Pläne nicht mittragen wolle? Wie soll er diese Zweifel beweisen? Ironisch versichert Schily, die Steuern würden nicht erhöht und bekommt Oberwasser, denn dies ist die Argumentation, mit der die Bundesregierung sich verteidigt. „Es freut mich, dass Sie das 83er Urteil zugrunde legen“, sagt er, zitiert dann betont lässig immer wieder Passagen aus dem Text, das Übrige habe ja schon Köhlers Prozessvertreter, „unser Professor … äääähhh“ gesagt, den Namen des Bonner Staatsrechtlers Joachim Wieland hat er da schon vergessen, was ihn aber nicht hindert, noch einmal an die „Verantwortung“ des Richtersenats zu appellieren, die Linie von damals beizubehalten.

Auch Ex-Anwalt Schily hat einen Anwalt mitgebracht, den Berliner Staatsrechtler und Autor Bernhard Schlink. Der erinnert an die Situation 1983 und nimmt eine Metapher von Jelena Hoffmann für ihre Haltung zu Schröder auf: „Wie eine deutsche Eiche“ habe die CDU/CSU auch damals hinter ihrem Kanzler gestanden, „und die FDP war der Efeu an der Eiche“. Dennoch habe das Gericht der Einschätzung Kohls den Vorrang eingeräumt.

Kritische Fragen anderer Richter zeigen aber dann, dass die Sache für die Regierung noch nicht gelaufen ist. Denn tatsächlich: Wo sollen Parlamentsauflösungen künftig eingegrenzt werden?, fragt Rudolf Mellinghoff. Werner Schulz’ Anwalt, der Mannheimer Rechtsprofesssor Wolf- Rüdiger Schenke fordert deshalb, „von den Grundsätzen des 83er-Urteils abzukehren“. Das scheint nach der Verhandlung eher wenig wahrscheinlich. Aber auf Kritik aus Karlsruhe wird sich Schröder wohl einstellen müssen.

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