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Politik: Waffenbrüder wider Willen

Von Matthias Thibaut, London, und Thomas Seibert, Istanbul In Großbritannien haben die Spekulationen über einen Feldzug gegen den Irak durch Berichte über eine „Massenmobilisierung“ von Reservisten Auftrieb erhalten. Dem „Daily Telegraph“ zufolge sollen sie ab September Personallücken der dramatisch überstrapazierten Streitkräfte auffüllen.

Von Matthias Thibaut, London, und Thomas Seibert, Istanbul

In Großbritannien haben die Spekulationen über einen Feldzug gegen den Irak durch Berichte über eine „Massenmobilisierung“ von Reservisten Auftrieb erhalten. Dem „Daily Telegraph“ zufolge sollen sie ab September Personallücken der dramatisch überstrapazierten Streitkräfte auffüllen. Das ist nicht ungewöhnlich. Auch im November wurden im Rahmen der Afghanistankrise Reservisten eingezogen. Doch die Meldung passt ins Bild einer konsequenten Vorbereitung der britischen Streitkräfte auf einen eventuellen Militärschlag gegen den Irak.

Die USA gehen in ihrer ziemlich offen betriebenen Irak-Planung von einem britischen Kontingent von um die 25 000 Mann aus – einschließlich Panzerbataillonen. Nun hat Großbritannien offenbar 1500 der europäischen schnellen Eingreiftruppe ACE zugesagte Soldaten zurückgezogen und die Teilnahme an einer Reihe von Nato-Manövern abgesagt. Unter anderem werden 3000 Soldaten der 1. britischen Panzerdivision nicht an Herbstmanövern in Polen teilnehmen.

Ins Bild passt auch der Abzug von britischen Soldaten in Sierra Leone, Bosnien und Afghanistan, wo die britische Anti-Taliban- Streitmacht auf gerade noch 100 Mann reduziert wurde. Über 7000 britische Soldaten wurden in diesen Wochen von Auslandseinsätzen zurückgezogen. Gleichzeitig soll die britische Armee durch die größte Geldspritze seit 20 Jahren für den Kampf gegen den Terrorismus fit gemacht werden. „Die Erfahrung zeigt“, so Verteidigungsminister Geoff Hoon, „dass eine defensive Strategie nicht mehr ausreicht".

In London betont man, dass nichts entschieden sei. Jede Armee habe „Krisenpläne“, heißt es aus dem Verteidigungsministerium. Aber auch politisch laufen die Vorbereitungen. Premierminister Tony Blair klingt zunehmend entschlossen, wenn er von der Bedrohung durch den Irak spricht. Der Regierungschef ließ vor einem Parlamentsausschuss durchblicken, dass er einen Irak-Krieg auch ohne neue UN-Resolutionen für gerechtfertigt halte . Die Presse verfolgt das Thema mit ängstlicher Skepsis. Doch es gibt in London zum außenpolitischen Kernkonzept der „Special relationship“ mit den USA keine Alternative. Niemand glaubt, dass Tony Blair, wenn es ernst wird, seinem Partner George Bush die Gefolgschaft verweigern könnte.

Widerwillig rüstet sich auch die Türkei für den Irak-Krieg – mitten in einer Wirtschafts- und Regierungskrise muss sich Ankara auf einen Krieg in der unmittelbaren Nachbarschaft vorbereiten. Der stellvertretende US-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz machte bei einem Besuch in Ankara deutlich, dass Washington fest entschlossen ist, den irakischen Machthaber Saddam Hussein zu stürzen. Als enge Verbündete der USA und als Nachbarstaat Iraks sitzt die Türkei fast automatisch mit im Boot, ob sie will oder nicht.

Der stellvertretende amerikanische Verteidigungsminister bekam in Ankara zwar kein klares Ja der Türken zu einem Angriff auf Irak zu hören. Es war aber auch kein klares Nein mehr. Vielmehr hat sich die politische und militärische Führung der Türkei darauf verlegt, ihre von der US-Regierung anerkannten „legitimen Interessen“ im Irak-Konflikt und die strategisch wichtige Lage ihres Landes zu nutzen, um Bedingungen zu stellen.

Dazu gehört die Forderung, die USA sollten der Türkei rund vier Milliarden US-Dollar an Schulden aus Waffenkäufen erlassen. Zudem machte Ankara Wolfowitz klar, dass die Türkei, die schon jetzt der größte Kreditnehmer des IWF ist, im Kriegsfall neue Hilfe brauchen werde.

Zumindest mit einigen Forderungen scheint Ankara in Washington auch Gehör zu finden. So zeigt das türkische Nein zu einem Kurdenstaat in Nordirak bei den Amerikanern bereits Wirkung. Wolfowitz sagte, die nordirakischen Kurden sähen sich „glücklicherweise“ als Teil eines neuen, demokratischen Irak. Um sicher zu gehen, dass sich die Kurden nicht doch noch selbständig machen, bereitet die türkische Armee aber die Entsendung eigener Truppen über die 330 Kilometer lange Grenze ins Nachbarland vor. In den Grenzprovinzen Mardin, Sirnak und Hakkari hat die Armee ihre Verbände verstärkt.

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